Was ist die Aufgabe von Kirche?
Mit dieser Frage rangen die deutschen Bischöfe im Dritten Reich -Ein Vortrag in Leipzig
Leipzig (mh) -Die katholische Kirche in Deutschland hat in der Zeit des Nationalsozialismus ihre Einheit bewahrt und ihren Wirkungsraum von ideologischen Infiltrationen durch die Nazis freigehalten. Mit dem Wissen von heute könne man zwar das Verhalten der Kirche damals als "zaghaft und halbherzig" beurteilen, sagte der Leipziger Historiker Ulrich von Hehl. Zugleich stellte er aber bei seinem Vortrag im Rahmen der Leipziger Winterakademie fest, dass die Kirche eine Spaltung in einen regimetreuen und eine regimegegnerischen Teil verhindern konnte. Außerdem lagen die Unterschiede zwischen den Bischöfen nicht in theologischen Fragen sondern in der kirchenpolitischen Taktik.
Zu den am häufigsten kritisierten damaligen Kirchenvertretern gehört der Breslauer Kardinal Bertram (1859-1945). Bertram, der auch Vorsitzender der Bischofskonferenz war, sah die wichtigste Aufgabe der Kirche in Seelsorge und Sakaramentenspendung. Um diese nicht zu gefährden, musste er in politischer Hinsicht "tunlichst Zurückhaltung" üben, so von Hehl. Zwar war auch Bertram dem Nationalsozialismus gegenüber ablehnend eingestellt. Doch wollte er keine öffentliche Konfrontation. Er fürchtete, Klerus und einzelne Christen könnten überfordert sein, wenn die Nazis als Reaktion ihre Repressalien verstärken würden. Denn: Wer anders als Bertram "die Pflicht zu lautem Protest allem anderen vorzieht, darf nicht auf die Opfer achten", meinte von Hehl mit Blick auf mögliche Reaktionen der Nazis. Außerdem gab es noch ein zweites Motiv für die öffentliche Zurückhaltung: die Möglichkeit humanitärer Hilfe für Einzelne, die ein stärkerer Druck der Nazis auf die Kirche ebenfalls gefährdet hätte.
Die Kirche habe sich mit den unterschiedlichen Positionen auseinandergesetzt, unterstricht von Hehl. Zu einem einschneidenden Ereignis kam es 1940, als wegen eines Geburtstagsschreibens Betrams an Hitler ein offener Gegensatz unter den deutschen Bischöfen ausbrach. Der Berliner Bischof Preysing drohte sogar, sein Bischofsamt niederzulegen. Von Hehl: Dass die Bischofskonferenz die vom Papst daraufhin angeregte Aussprache über den kirchenpolitischen Kurs unterließ, "machte die Spaltung im Episkopat perfekt" und lähmte das öffentliche Auftreten. Dennoch betonte von Hehl mit Blick auf die Äußerungen der katholischen Kirche zum Nationalsozialismus (etwa die Enzyklika "Mit brennender Sorge" von 1937): "Weder das Deutsche Rote Kreuz noch der Ökumenische Rat der Kirche, noch die Alliierten oder der Weltbund der Juden in den USA haben so deutlich ihre Stimme erhoben wie die katholische Kirche."
Der Nationalsozialismus sei eine Zeit der beispiellosen Herausforderung gewesen, so von Hehl. "Solche Zeiten sind die Stunde des auf sich selbst gestellten Einzelnen." Beispiele dafür seien Persönlichkeiten wie Pater Delp oder Graf Stauffenberg, dessen Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 innerhalb der Kirche gegensätzlich beurteilt wurde. Während Preysing dem Kreis um Stauffenberg sehr nahe stand, bezeichnete der damalige Münchner Erzbischof Faulhaber das Attentat als "himmelschreiendes Verbrechen".
Auch im Klerus gab es schon zur damaligen Zeit bei aller grundsätzlichen Geschlossenheit nicht ungeteilte Zustimmung zu den Bischöfen, so von Hehl. "Es herrschte teilweise ein Gefühl des Alleingelassenseins. Das vorsichtige Taktieren wurde als Schwäche empfunden und stieß auf Unmut." Immerhin erlebte über die Hälfte der 21 000 Weltpriester Gewaltmaßnahmen der Nazis. Allein in der mitteldeutschen Diaspora wurden 40 Geistliche in Konzentrationslager eingewiesen und sechs hingerichtet.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 05.02.2004