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Bistum Dresden-Meißen

Weitverbreitet, aber oft totgeschwiegen

Ökumenisches Forum eröffnete diesjährige Veranstaltungen zur Überwindung der Gewalt

Dresden (tg) -Katholische, evangelische und Freikirchen in Sachsen wollen in diesem Jahr gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, der Gewalt in Familien und in der Schule entgegenzuwirken. Diese Initiative ist Teil der "Dekade zur Überwindung von Gewalt". Den Auftakt dafür bildete das Ökumenische Forum an der TU Dresden, das die Institute für katholische und evangelische Theologie gemeinsam mit dem Ökumenischen Informationszentrum Dresden (ÖIZ) organisiert hatten.

Gewalt in der Familie sei die am weitesten verbreitete, zugleich aber die am meisten unterschätzte und am wenigsten öffentlich bekannte Form von Gewalt, sagte der Dresdner Soziologieprofessor Karl Lenz auf dem Forum. Umfragen zufolge wachse in der Bundesrepublik nur etwa jedes vierte Kind gewaltfrei auf; fast 15 Prozent erlitten mindestens einmal in ihrem Leben eine schwere Misshandlung. Je jünger ein Kind sei, desto stärker sei es bedroht, so Lenz.

In Deutschland sterben im Durchschnitt pro Woche zwei Kinder an den Folgen körperlicher Gewalt oder Vernachlässigung in der Familie. Das geht aus einer UNICEF-Studie hervor, die Lenz auf dem Forum zitierte. Gewalt komme in allen Familienformen vor, betonte er. Also auch da, wo Vater und Mutter traditionell zusammenlebten.

Von sexuellem Missbrauch seien in Deutschland etwa zehn Prozent der Kinder betroffen, in der Mehrheit Mädchen. 90 Prozent der Täter seien Männer, aber nur in fünf Prozent der Fälle seien dies die Väter. Das größte Risiko gehe hier von Bekannten im Umkreis der Familie aus.

Die meisten Täter hätten in der Kindheit selbst die Erfahrung gemacht, Opfer familiärer Gewalt zu sein, erläutert Lenz. Die Weitergabe über Generationen sei weit verbreitet. Jedoch würden Betroffene auch aus ihrer Erfahrung lernen und selbst keine Gewalt anwenden. Für eine weitere Ursache von Gewalt hält Lenz die Überforderung von Eltern in der Erziehung aufgrund von übersteigerten Idealvorstellungen und Perfektionismus. Ziel müsse aber ein kindgerechtes Aufwachsen sein

Helfen könne den Eltern dabei ein Freundeskreis außerhalb der Familie, "ein sie stützendes Netz, wo sie Entlastung erfahren, weil sie hier auch ihr Nicht-Perfekt- Sein ausleben können". Die gewaltfreie Erziehung von Kindern, so sein Resümee, sei die beste Gewaltprävention für die Gesellschaft.

Das Thema Gewalt in Familie und Schule sei für Kirche und Theologie eine neue Herausforderung, bei der sie wieder eine traditionelle Bildungsfunktion wahrnehmen und sich in ein Netzwerk einbringen könnten, sagte der evangelische Theologieprofessor Roland Biewald.

Dass ein solches Netzwerk nötig sei, um die Ursachen von Gewalt zu beseitigen, hatte auch Pädagogik-Professor Wolfgang Melzer auf dem Forum betont. Ebenso müssten soziale Themen in der Lehrerausbildung einen wichtigeren Platz als bisher bekommen, so Melzer. Studien hätten gezeigt, dass Lehrer in sächsischen Schulen beispielsweise zwar die Täter in ihren Klassen kennen, aber nicht wüssten, welche ihrer Schülern die Opfer seien. Schüler wiederum schätzten "weichere" Formen von Gewalt, etwa Mobbing, häufig harmloser ein als Lehrer. Zudem sei der Reiz zur Nachahmung groß. Dem könne man nur langfristig durch Kommunikation entgegenwirken.

Tomas Gärtner

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 5 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 05.02.2004

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