Christlicher Bezug erhitzt die Gemüter
Streit um das neue Schulgesetz in Sachsen
Dresden (kna) -Von Mord und Totschlag ist die Rede, von Kreuzzügen, gewaltsamer Mission, Inquisition und Hexenverbrennung. Aber auch von einer Zeit, der die grundlegenden Werte abhanden gekommen sind, von Kindern und Jugendlichen, denen auch die Schule wieder mehr Orientierung bieten müsse. Bereits drei Mal erschien in der "Sächsischen Zeitung", der wichtigsten Tageszeitung in Dresden und Ostsachsen, eine ganze Seite mit Leserbriefen zum Thema "Wie christlich darf die Schule sein?" Das bewegt die Menschen. Anlass ist das neue Schulgesetz, das am 15. Januar vom Sächsischen Landtag beschlossen wurde.
Das Gesetz ist eine Konsequenz aus der Pisa-Studie und reagiert auf eine Initiative, die ein Volksbegehren zu Änderungen in der sächsischen Bildungspolitik angestrebt hatte. In der öffentlichen Diskussion geht es aber nicht um Bildungsfragen, sondern allein um den ersten Paragrafen. Hier heißt es zum Auftrag der Schule: "Diesen Auftrag erfüllt die Schule, indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Achtung vor der Überzeugung des anderen, berufliches Können, soziales Handeln und freiheitliche demokratische Haltung vermittelt ...". Das ist neu, denn im ersten sächsischen Schulgesetz von 1991 steht lediglich, dass den Schülern Werte vermittelt werden sollen. Welche das sind und auf welcher geistesgeschichtlichen Grundlage sie beruhen -darauf ging der Gesetzestext nicht ein.
PDS sieht das Elternrecht verletzt
Für die PDS-Landtagsfraktion ist der Passus im neuen Gesetz ein Grund, eine Verfassungsklage vorzubereiten. "Wir sehen das Elternrecht verletzt", so Pressesprecher Marcel Braumann. Schließlich seien rund drei Viertel der Sachsen konfessionslos. Die Klage soll sich auf Paragraf 101 der Landesverfassung stützen, in dem es um das Elternrecht im Bildungswesen geht. Der erste Abschnitt dieses Paragrafen ist übrigens die Grundlage der umstrittenen Formulierung im Gesetz; hier sind genau die Werte verankert, um die es geht. Die PDS störe sich nicht an dem Wertekanon an sich, erläutert Braumann. Es sei die christliche Minderheit im Lande, die der Partei diesen "Kulturkampf" aufgezwungen habe. "Die Verfassungsklage sehen wir ganz gelassen", erklärt der Sprecher des Kultusministeriums, Dieter Herz. Auch in der CDU-Fraktion ist man der Meinung, dass das Schulgesetz juristisch hieb- und stichfest ist. "Das Wort insbesondere' drückt aus, dass mit dem Gesetz kein Absolutheitsanspruch der Christen verbunden ist", so Fraktionssprecher Martin Kuhrau.
Die Kirchen begrüßen, dass das Schulgesetz nun Bezug auf die christlichen Werte nimmt. Nach Thüringen, wo das Gesetz die Schule verpflichtet, die Schüler anzuhalten "sich im Geiste des Humanismus und der christlichen Nächstenliebe für die Mitmenschen einzusetzen", ist Sachsen das zweite neue Bundesland mit einem solchen Passus. Dazu bedurfte es allerdings der Einflussnahme der Kirchen.
So unchristlich wie in Nordkorea
In der 2002 vom Kultusministerium vorgelegten Konzeption für das Schulgesetz war nämlich von Christentum noch nicht die Rede. Die katholische Kirche habe seinerzeit kritisiert, dieses Gesetz könne "auch in Nordkorea bestehen, so unchristlich sei es", erklärt Monsignore Alexander Ziegert, der als Leiter des Katholischen Büros für die Beziehungen der katholischen Bischöfe zur Landesregierung zuständig ist. Dass eine Regierung, die von einer christlichen Partei gebildet wird, die Quelle der abendländischen Werte nicht benennen wollte, regt ihn noch heute auf. Eine Änderung kam erst nach Gesprächen beider Kirchen mit den CDU-Abgeordneten zustande.
Im Bistum Dresden-Meißen, das den größten Teil des Bundeslandes mit rund 4,35 Millionen Einwohnern umfasst, gibt es 176 000 Katholiken, das sind etwa vier Prozent der Bevölkerung. Die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsen, deren Gebiet etwas kleiner ist als das Bistum, hat knapp eine Million Mitglieder. Nach dem Ende der DDR, in der das Bildungswesen einen eindeutigen ideologischen Auftrag hatte, wünschen sich viele Bürger eine weltanschaulich neutrale Schule. Bei ihnen sitzt die Angst sehr tief, ihre Kinder könnten nun statt der "Rotlicht-" einer "Schwarzlichtbestrahlung" ausgesetzt werden. In Bayern oder Baden-Württemberg, wo Kinder laut Schulgesetz in Ehrfurcht oder Verantwortung vor Gott zu erziehen sind, mag dieser Streit Kopfschütteln auslösen. In Sachsen aber ist die Mehrheit konfessionslos.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 05.02.2004