Weder zäh noch Leder
Schüler der Erfurter Edith-Stein-Schule untersuchten die Manipulation der Jugend im Dritten Reich
Erfurt -Das Bild von der Entstehung des Nationalsozialismus ist auch heute nicht einheitlich. Sahen die einen die Ursachen vor allem im Versagen der Politik der Weimarer Republik, gab es andere, die die Hitler-Diktatur als logische Folge des Verlustes der geliebten Monarchie begriffen: Am 27. Januar gedachten wieder Hunderttausende im Land der Opfer des Nationalsozialismus, darunter den vielen Namenlosen.
Die Nazis, so schien es jedenfalls, gewannen vor allem eins: Die Jugend. Ihr galt die höchste Aufmerksamkeit, denn die Burschen waren nicht nur das Kanonenfutter von morgen, auch auf die Mädchen und jungen Frauen war das Krieg führende Deutschland angewiesen, denn sie mussten die Arbeit im Hinterland erledigen und den Soldaten an der Front den Rücken frei halten.
Aber war die Jugend im Nationalisozialsmus grenzenlos verführbar? Am Ende willige Killermaschinen, die brutal und ihrem Führer ergeben bis zuletzt das Zerstörungswerk fortsetzten? Die Studie einer Gruppe von Schülern der Erfurter Edith- Stein-Schule zeigt zumindest im Ansatz ein anderes Ergebnis: Die Jugend war keineswegs so verführbar, wie es in den meisten Darstellungen den Anschein hat. Trotz des Zwanges und des wachsenden kollektiven Bewusstseins von der Stärke und dem Endsieg gab es auch so etwas wie den "kindlichen Widerstand", den Zug in die innere Emigration oder in den meisten Fällen das ganz normale Mitläufertum. Was die Nazis wollten, war freilich zunächst nicht eindeutig: "Die wollen euer Leben, eure Treue, eure Ehre. Die wollen euch", heißt es in der Präsentation der Schüler, die vom Förderverein der Schule prämiert wurde.
Hitler kannte nur ein Ziel: Krieg
Hitler wollte eine Jugend "so zäh wie Leder", eine Jugend, die allen militärischen Herausforderungen gewachsen war und das deutsche Volk in eine neue Zeit führen würde: Dafür die aufwändigen Leibesübungen beim Jungvolk und der Hitlerjugend, der Kasernendrill, die Schinderei auf den Übungsplätzen und die wilden Schießübungen. Es hatte nur ein Ziel: Krieg. Hat die Jugend verstanden, was mit ihr passiert, würde sie es heute verstehen?
Der Krieg war für viele weit weg. Und für die heranwachsenden Mädchen und Jungen gab es im gleichgeschalteten NS-Staat keine Alternativen mehr. Eine der These der Edith-Stein-Schüler: Oft war es weniger politisches Interesse als das vielen Jugendlichen attraktiv erscheindende Freizeitangebot, das den Reiz der Hitlerjugend ausmachte. Und das Schlussresúmee: Hitler gelang es nicht, eine Jugend so zäh wie Leder zu formen.
Aber bis heute lässt sich nicht leugnen, dass ein Großteil der deutschen Bevölkerung Hitler unterstützte, auch die Jugend. Wie war das möglich? Bei allen historischen Belastungen der Weimarer Republik gab es keine Zwangsläufigkeit der deutschen Geschichtsentwicklung zum Dritten Reich hin. Auch in der Spätphase der Weimarer Republik waren andere Entscheidungen möglich, die Hitler hätten aufhalten oder seinen Aufstieg behindern können.
Bei der Eroberung der Macht durch die Nationalsozialisten gab es vielmehr ein Ineinandergreifen von Gewalt und Verführung. Der Terror gegenüber politisch Andersdenkenden war eine Seite des Regimes. Die andere war ein Eingehen auf Sehnsüchte und Hoffnungen breiter Massen der Bevölkerung. Die Nazis verstanden es besser als ihre Konkurrenten, sich als Bollwerk gegen den gesellschaftlichen Wandel darzustellen. Auch die Jugend war nur ein Instrument der Macht. Die Beachtung beider Aspekte bietet Ansätze für die Erklärung des Nationalsozialismus.
Andreas Schuppert
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 05.02.2004