Abschaffung der Leidenden schafft das Leid nicht ab
"Sterbehilfe"-Debatte im Hallenser St.-Elisabeth-Krankenhaus
Halle - Gestorben sind die Menschen schon immer. Ja, daran hat sich wirklich nichts geändert. Warum also jetzt und nicht schon vor 50 Jahren die so leidenschaftlich geführte öffentliche Debatte über aktive Sterbehilfe? Und auch über Sterbebegleitung, die besser "Lebensbegleitung" heißen sollte? Warum das holländische Gesetz, das Ärzten bei Einhaltung strenger "Sorgfaltskriterien" die Tötung von Patienten auf deren Wunsch hin erlaubt? Fragen, die auch während einer Podiumsveranstaltung zum Thema "Sterbehilfe" im katholischen Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle nicht endgültig geklärt werden konnten.
Eingeladen hatte die Hospiz-Hausbetreuung und der gefüllte Raum und die vielen Wortbeiträge spiegelten das lebhafte Interesse an der gesellschaftlichen Debatte wieder - nicht nur bei Medizinstudenten, Pflege-schwestern und Ärzten. "Ich bin für aktive Sterbehilfe", sagt Diplom-Theologe Heinrich Pera, einer der Pioniere der Hospizbewegung. Er provoziert. Rasch fügt er hinzu: "Nur, wenn sich in unserer Gesellschaft nichts ändert. Wir alle sind füreinander verantwortlich bis zum Lebensende. Wir müssen uns umeinander kümmern. Nicht der Bundestag, nicht nur die Hospizbewegung." Jeder Mensch müsse die Chance haben, durch menschliche Zuwendung und durch Schmerztherapie bis zuletzt leben zu können.
"Ausleben" nennt Lienhard Otto solch ein würdevolles Sterben. Otto ist Professor für Innere Medizin und auch tätig im Bereich der Palliativmedizin (Schmerzlinderung, Symptomkontrolle) am St.-Elisabeth-Krankenhaus. Er hält ein leidenschaftliches Plädoyer für Sterbehilfe, aber nicht für die aktive. "Der Arzt als Linderer und Helfer darf nicht töten. Er darf aber sterben lassen."
So wie Pera glaubt auch Otto, dass Todeswünsche von Patienten oft als Schreie der Verzweiflung, als Schreie nach Liebe verstanden werden müssen. Er sieht darin auch das Versagen der anderen. Eine Ärztin aus dem Publikum erzählt von ihren Erfahrungen und bestätigt diese Einschätzung. Über 1000 Patienten habe sie sterben sehen, die wenigsten wünschten den Tod. "Aber die Angehörigen sagen oft: Ich kann das nicht mehr mit ansehen. Ich halte das nicht aus", berichtet sie. Und: "Wenn wir den Leuten sagen: Ihr Angehöriger stirbt heute nacht, dann erwidern sie: Aber rufen sie erst morgen früh an."
Das Schlimmste für den schwerkranken oder alten Patienten sei die Entmündigung, weiß Otto. "Plötzlich wissen immer andere, was das Beste für den Patienten ist. Du gehst jetzt ins Heim. Die Wohnung wird aufgelöst."
Dass sich dieses Verhalten, dass sich die Gesellschaft wirklich je ändert, glaubt ein Mann aus dem Publikum nicht. Er befürwortet die aktive Sterbehilfe und meint, auch die Ursache für die Debatte darum zu kennen: die Entwicklung der modernen Medizin. "Früher wurde nicht so viel herumgedoktert, da wurde dem lieben Gott nicht so ins Handwerk gepfuscht." Die Medizin soll sich seiner Auffassung nach eingestehen, dass es auch Fälle gibt, wo sie machtlos ist. Damit spielt er auf Schmerzpatienten an, die keine angemessene Therapie für ein würdevolles Sterben bekommen oder für die es keine entsprechende Therapie gibt. Otto: "Nur jeder zehnte Schmerzpatient bekommt ausreichend Palliativmedizin."
Tatsächlich müsse auch über den Ausbau der Palliativmedizin debattiert werden, sind sich Podium und Publikum einig. Die Angst vor langem Leiden, die Angst vor der Apparatemedizin, die Angst nicht schmerztherapiert zu werden, daher rühre der Ruf nach aktiver Sterbehilfe, so Thomas Kolodziej, Pflegedienstleiter in der Hospizbewegung. Immerhin befürworten zwei Drittel der Bevölkerung aktive Sterbehilfe. Kolodziej stellt dem einen einzigen Satz entgegen: "Durch die Abschaffung der Leidenden schaffen wir nicht das Leid ab."
Wenn auch nicht alle Fragen beantwortet wurden, am Ende der Diskussion ist eines klar: Die Debatte ist notwendig. Und sie darf nicht nur emotional, sondern sie muss auch mit der notwendigen Sachkenntnis geführt werden. Die Podiumsveranstaltung galt in dieser Hinsicht als beispielhaft. Denn dort erläuterte Straf- und Medizinrechtler Hans Lilie von der Martin-Luther-Universität die Details des holländischen Gesetzes. Er äußerte in diesem Zusammenhang die streitbare Vermutung, dass mit dem Gesetz in Wahrheit aktive Sterbehilfe verhindert werden soll, da es einen stark appellativen Charakter trage und den Arzt zwinge, sich intensiv mit dem Patienten auseinanderzusetzen.
Markus Tichy
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 07.06.2001