Nur Gott ermöglicht Vergebung
Psychotherapie und Religion im Gespräch über Schuld und Vergebung

Halle (mh) -"Ich entschuldige mich!" Dieser heute oft gebrauchte Satz zeigt ein Dilemma des modernen Menschen. Er versucht sich der Schuld, die er auf sich geladen hat, selbst zu entledigen. Doch Entschuldigung kann sich der Mensch nicht selbst zusprechen. Letztlich ist Vergebung nur im religiösen Kontext möglich. Das zeigte eine Tagung in Halle unter dem Titel "Schuld und Vergebung: Psychotherapie und Religion im Gespräch". Eingeladen hatten dazu das katholische Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara, die Katholische Akademie des Bistums Magdeburg und das Institut für Praktische Theologie und Religionspädagogik der Universität Halle.
Schuld und Vergebung seien heute zwei große Tabuthemen, hieß es in der Einladung. Die moderne Gesellschaft mit ihrem Bild vom perfekten Menschen drängt diese Lebenserfahrungen in den Bereich des Krankhaften ab. Und die Psychotherapeuten sind dann für die Betroffenen oft die erste Anlaufstelle. Einer von ihnen ist Markus Bassler (Schömberg): "In der Psychotherapie geht es nicht um die Schuld, sondern um ihre bewussten und unbewussten Folgen." Die höchstmögliche Leistung der Psychoanalyse sei, dem Menschen zu helfen, mit seiner Schuld weiter zu leben. "Eine Vergebung ist nicht möglich." Mit ihrem weltanschaulichen Neutralitätsgebot stoße die Psychotherapie hier an ihre Grenzen, denn nur im religiösen Bereich sei Vergebung denkbar. Bassler sprach sich deshalb dafür aus, in der Psychotherapie auch die Spiritualität als Dimension anzuerkennen, in deren Horizont dann ein anderer Umgang mit Schuld möglich werde.
Stößt schon die Psychotherapie beim Umgang mit der Schuld an ihre Grenzen, so trifft das noch deutlicher auf den Rechtsbereich zu: "Das Recht verwaltet die Schuld, aber es ist in großen Schwierigkeiten, wie es das tun soll", gestand der Jurist Hans-Ludwig Schreiber (Göttingen). Eine Strafe setzt Schuld voraus. Aber: "In welchem Verhältnis stehen Schuld und Strafe? Wie viele Tage, Monate, Jahre ist ein versuchter Totschlag aus der Sicht des Opfers wert?", beschrieb Schreiber eine Schwierigkeit.
Noch problematischer werde es bei der Frage der Schuldfähigkeit, ebenfalls Voraussetzung für Strafe. Das zeige sich zum Beispiel bei psychatrischen Gutachten: "Der Gutachter soll uns sagen, wie wütend ein Mann gewesen ist, damit er seine Frau straflos umbringen konnte." Neue Fragen im Zusammenhang mit der Schuldfähigkeit würden auch durch die moderne Hirnforschung aufgeworfen. Hier gebe es eine Strömung, nach der das Handeln des Menschen durch die Prozesse im Gehirn vollständig vorherbestimmt sei. "Keiner kann anders, als er ist." Deshalb verfüge der Mensch auch nicht über Freiheit und könne sich so auch nicht schuldig machen. Im Laufe der Diskussion wurde an der grundsätzlichen Freiheit des Menschen zwar festgehalten. Klar war aber auch, dass der Mensch tatsächlich nicht immer und überall vollständig frei handeln kann. Zum Thema Vergebung fielen die Aussagen aus juristischer Sicht kurz aus. Schreiber: "Das Recht kennt keine Vergebung. Wir sprechen allenfalls von Versühnen, was vielleicht eine Voraussetzung für Vergebung sein kann."
Wie der abendländische Schuldbegriff sich von der Antike bis zur Gegenwart verändert hat, darüber gab die Religionsphilosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Dresden) einen Überblick: Die griechischen Philosophen verglichen den Menschen mit einem Speerwerfer, der grundsätzlich sein Ziel verfehle. Diese Zielverfehlung stelle die Schuld des Menschen dar. Eine Lösung für den Umgang damit kannten die Griechen nicht. Das Neue der jüdischchristlichen Tradtition ist die Möglichkeit der Umkehr. "Der Mensch bekommt die Möglichkeit, die Wurfbewegung noch einmal zu üben."
Die philosophische Sicht des Menschen als Individuum lies die Rolle des Gewissen des Einzelnen für die Beurteilung von Schuld wachsen. Einen Höhepunkt erreicht die Philosophie im Umgang mit Schuld bei Friedrich Nietzsche, für den Gut und Böse Machtinstrumente sind und die Schuld lediglich der religiösen Unterdrückung des Menschen dient.
Die Geschichte des Pardon ist mit Auschwitz beendet
Im neuen Licht stellt sich die Frage nach der Schuld durch den Holocaust, erläuterte Gerl-Falkovitz. Eine Strömung des modernen Judentums sagt: Man kann nicht verzeihen. Auschwitz sei der Ausdruck der Zielverfehlung menschlicher Geschichte. Diese Zielverfehlung könne im Nachhinein nicht mehr korrigiert werden. "Die Geschichte des Pardon ist mit Auschwitz zu Ende gegangen." Verzeihung sei das Vorrecht der Opfer. Die Opfer aber sind tot. Deshalb heißt die Devise: "Nicht vergeben! Nicht vergessen!" Denn: Die Menschheit darf nicht vergessen, dass sie mit Auschwitz ihr Ziel verfehlt hat. Und das Gebet Jesu am Kreuz (Lukas 23, 34) müsse abgewandelt heißen: "Herr, verzeih ihnen nicht, denn sie wissen, was sie tun!"
Gerade diese Position eröffnet aber für Gerl-Falkovitz eine neue Möglichkeit, Vergebung zu denken, denn: "Wenn es etwas zu verzeihen gibt, dann ist es das Unverzeihbare." Allerdings kann der Mensch selbst diese Zielverfehlung nicht korrigieren. Das könne nur vom Ziel her erfolgen, von Gott. "Gott wird damit zur einzigen Stelle, an der die Verzeihung des Unverzeihbaren heute denkerisch möglich geworden ist", sagt Gerl-Falkovitz.
Auf die christliche Antwort im Umgang mit der Frage nach der Schuld wies der Jesuit Michael Sievernich (Frankfurt / Main) hin: Im Christentum stehe die Schuld im Horizont der Hoffnung auf die Heilung der gebrochenen Beziehungen. Von einem personalen Gegenüber, nämlich von Gott, erhoffe der Christ die Vergebung. Ein Ort dafür ist das Bußsakrament, zu dem Reue, Bekenntnis, Lossprechung und Wiedergutmachung gehören. Die theologische Grundstruktur der Sünde betrifft dabei nicht nur die Beziehung des Menschen zu Gott, sondern auch die Beziehungen zu den anderen Menschen und zu sich selbst. Die Botschaft von der Vergebung der Schuld sei die Kernaussage des Christentums. Das Christentum könne mit dieser Botschaft und mit dem Dienst der Versöhnung einen wichtigen Dienst für alle Menschen leisten.
Besonders deutlich wurde das in der abschließenden Podiumsdiskussion. Dort nämlich beantwortete der Psychotherapeut Bassler die Frage "Brauchen wir heute Gott?" mit einem klaren "Ja, weil er uns die Utopie einer radikalen Vergebung ermöglicht."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 23.02.2004