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Bistum Magdeburg

Schwester, wollen Sie mich adoptieren?

Eine Ordensfrau ist Gefängnisseelsorgerin in der Jugendstrafanstalt Raßnitz

Rassnitz -Der 20-jährige Klaus M. blickt aus dem Fenster seines Einzelhaftraumes. Seine Hände umfassen fest die Gitterstäbe. Doch zu rütteln gibt es hier nichts. Er muss seine vier Jahre Haft in der Jugendanstalt Raßnitz, zwischen Halle und Leipzig, absitzen. Seine Tat, die ihn hierher brachte, hat er längst bereut. Vom Fenster aus sieht er den roten Backsteinbau der Gefängniskapelle, überspannt von der Weite eines wolkenlosen Himmels, der ihm die Freiheit nach seiner Haft symbolisiert.

Seine Hoffnung, die Zeit bis dahin einigermaßen unbeschadet zu überstehen, ist seit kurzem größer geworden. Vor einem Monat hatte er einen Antrag auf ein Gespräch mit der katholischen Gefängnisseelsorgerin Schwester Magdalena gestellt. Dies ist ein offiziell vorgeschriebener Weg, um mit ihr in Kontakt zu kommen. Das daraufhin erfolgte vertrauliche Gespräch mit der Schwester hatte Auswirkungen. Klaus M. beteiligt sich jetzt mit anderen jungen Häftlingen an einem Gesprächskreis, den sie mit der Schwester gebildet haben. Hier haben sie die Möglichkeit, offen über ihre Probleme zu reden.

Gemeinsam bereiten sie auch die Gestaltung von Gottesdiensten vor, übernehmen die Lesungen und Fürbitten und schreiben Beiträge für die kleine gefängnis- interne Zeitung mit dem Titel "Gefangene Gedanken". Wie positiv und emotional die jungen Gefangenen auf die Gespräche mit der Seelsorgerin und auf ihre Zuwendung reagieren, zeigt die lächelnd gestellte Frage eines Teilnehmers des Gesprächskreises: "Schwester Magdalena, wollen Sie mich adoptieren?"

Ebenso lächelnd greift sie die Frage auf, indem sie den Gefangenen etwas über ihre Situation als Mitglied in einer Ordensgemeinschaft erzählt. Die Entscheidung, einem Orden anzugehören, bedeutet Verzicht auf der einen Seite, aber große Bereicherungen auf der anderen. Für die jungen Zuhörer ist dies schwer zu verstehen und macht sie nachdenklich.

Katholisch ist nur einer aus diesem Kreis, der überwiegende Teil der 385 Inhaftierten ist konfessionslos. An den Wortgottesdiensten und Gesprächsangeboten nehmen mittlerweile gut 50 Straftäter teil, Tendenz steigend. Die jungen Männer zwischen 14 und 21 Jahren stammen alle aus Sachsen-Anhalt.

Von ihnen erfährt die Ordensfrau viel über die Lebens- und Leidensschicksale. Persönliche Probleme werden ihr anvertraut. Sie sieht die unterschiedlichsten Ursachen und Folgen, die die Jugendlichen in die Situation brachten, letztendlich im Gefängnis zu landen.

Die Arbeit mit den jugendlichen Strafgefangenen verlangt von Schwester Magdalena auch eine intensive Kooperation mit den Vollzugsbeamten und der Gefängnisleitung. Ihr Einsatz wird von den meisten im Strafvollzug beschäftigten Mitarbeitern geschätzt oder zumindest respektiert. Selbst wenn es gelegentlich von Seiten der Beamten zu Bemerkungen kommt, wie "Na, hast du dich mal wieder bei der Schwester ausgeweint?", dann sieht sie darin vor allem das Vertrauen der Strafgefangenen, die sich mit ihren Problemen und Sorgen an sie wenden. Sie sucht mit ihnen nach Lösungswegen, denn sie weiß, dass ein partnerschaftliches Miteinander den jungen Inhaftierten die nötige Hilfe geben kann, um in die Gesellschaft zurückzufinden.

In ihrer vierjährigen Arbeit als Gefängnisseelsorgerin hat sie leider auch das "Drehtür-System" kennen gelernt, wenn sie von den neu Eingelieferten zum zweiten oder dritten Mal begrüßt wurde: "Schwester, ich bin schon wieder da." Doch das ist für sie kein Grund aufzugeben. Darin bestätigen sie auch ihre Erfahrungen mit Entlassenen, die es geschafft haben, sich außerhalb der Gefängnismauern zurechtzufinden. Einige halten weiterhin Kontakt zu der Schwester und berichten mit Stolz, dass sie Arbeit und feste Beziehungen haben.

Schwester Magdalena gehört der Ordensgemeinschaft der Dominikanerinnen von Bethanien an. Zu ihrer Arbeit in das Gefängnis geht sie in ziviler Kleidung, aber mit einem Kreuz an einer Halskette. Mit der Gefängnisseelsorge erfüllt sich ein inniger Wunsch, der sie seit Beginn ihres Ordenslebens begleitet. Als 19-Jährige trat die Westfälin in den Orden ein. Mit 22 bekam sie im Kinderdorf der Ordensgemeinschaft eine Familiengruppe anvertraut. Mehr als 30 Jahre erfüllte sie diese Aufgabe. Über 50 Babys, Kinder und Jugendliche hat sie bis zum Erwachsenwerden als "Mutter" begleitet und ihnen Lebensorientierung gegeben. Die Erziehungshilfe und Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, die unter schwierigen Lebensbedingungen aufwuchsen, ist für ihre heutige Tätigkeit eine wertvolle Erfahrung.

Schuld und Sühne sind keine Orientierungsmerkmale für ihre Arbeit, auch nicht die Schwere der Tat. Und "harte Brocken" gibt es zahlreiche unter den 14- Schwester, wollen Sie mich adoptieren? Eine Ordensfrau ist Gefängnisseelsorgerin in der Jugendstrafanstalt Raßnitz bis 21-Jährigen. Diebe, Sexualstraftäter, gewalttätige Neonazis und Totschläger sitzen hier ein. Gelegentliche Respektlosigkeiten ihr gegenüber ignoriert Schwester Magdalena. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass manch "harter Brocken" ohne seine Gruppe in der Einzelbegegnung wachsweich sein kann.

Bei all den Schwierigkeiten, in denen sich die jungen Strafgefangenen befinden, stellt Schwester Magdalena doch immer wieder fest, dass sie positiven Einfluss ausüben kann. Allein ihre Anwesenheit als Ansprechpartnerin ist für manche der jungen Strafgefangenen ein Stück Hoffnung. Wenn Klaus M. heute durch die Gitterstäbe den Himmel betrachtet, fühlt er sich nicht mehr so allein, hat an Zuversicht für die Zeit draußen gewonnen.

Ernst Herb

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 9 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.02.2004

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