"Sag, wie hast du's mit der Religion"
Die Gretchenfrage neu gestellt -Zur Diskussion um die Novellierung des Schulgesetzes in Sachs
Die Neufassung des Sächsischen Schulgesetzes, die sich ausdrücklich auf die "christliche Tradition im europäischen Kulturkreis" beruft, hat in der sächsischen Öffentlichkeit eine heftige Diskussion ausgelöst. Dazu äußert sich die sächsische Landesvorsitzende des Vereines katholischer deutscher Lehrerinnen (VkdL) Justina Suchy aus Kamenz. Wir veröffentlichen den Beitrag in Auszügen:
Am 15. Januar wurde im Sächsischen Landtag das novellierte Schulgesetz beschlossen. Im Bildungsauftrag der Schule ist in Paragraph 1 Absatz 2 Folgendes formuliert: " ... Diesen Auftrag erfüllt die Schule, indem sie den Schülern insbesondere anknüpfend an die christliche Tradition im europäischen Kulturkreis Werte wie Ehrfurcht vor allem Lebendigen, Nächstenliebe, Frieden und Erhaltung der Umwelt, Heimatliebe, sittliches und politisches Verantwortungsbewusstsein, Gerechtigkeit und Achtung vor der Überzeugung des anderen, berufliches Können, soziales Handeln und freiheitliche demokratische Haltung vermittelt ..." Das ist der Stein des Anstoßes -einer kontroversen und vor allem kontraproduktiven Diskussion in der sächsischen Öffentlichkeit.
Nach 40 Jahren Diktatur des Proletariats haben 1989 (fast) alle kräftig durchgeatmet. Der durch Partei, FDJ und Pionierorganisation straff geführten Schule erteilte man eine klare Absage, und der Freistaat Sachsen beschloss ein dreigliedriges Schulsystem zur optimalen Entwicklung jedes einzelnen Kindes ... Mit soliden bewährten Grundlagen einer erfolgreichen Bildung und Erziehung hat man in Sachsen plötzlich wieder seine Schwierigkeiten. Das Attribut "christlich" als Basis für etwas, was man zwar vom Grunde her unbedingt will, aber aus vielen Gründen nicht klar benennen möchte, schreckt viele. Warum eigentlich?
Der Gebrauch scheinbarer Synonyme, zum Beispiel humanistisch, gesunder Menschenverstand oder Vernunft für fundamental Christliches ist einer erschreckenden Mehrheit leider auch im Freistaat Sachsen angenehmer. Da lassen sich offensichtlich gewisse Relativierungen gut unterbringen und "Abstriche" an den radikalen Forderungen des christlichen Wertefundamentes machen. Und genau das ist es, was in der öffentlichen Meinung gegen die eindeutig christliche Tradition im europäischen Kulturkreis als Ortsbestimmung für Basis und Werte in Erziehung und Bildung dominiert.
Christliche Überzeugungen nicht vernachlässigen
Die Geschichte hat wahrlich gezeigt, dass auch das Christentum immer dann gescheitert ist, wenn die Radikalität der eigenen Forderungen vernachlässigt oder aufgeweicht wurde. Das hat in den Geschichtsbüchern und auch in den modernen Medien stets mehr Raum eingenommen als jene Beispiele, die Erfolg und nachhaltige Spuren für die Menschen in Europa und darüber hinaus hinterlassen haben ...
Der Mensch als Sozialwesen ist auf Gemeinschaft angewiesen und zwar zu allererst in der Familie. Die erweiterte Integration in Gemeinschaften der Kindereinrichtungen hat sich als fördernd erwiesen, ebenso die Gemeinschaft im Klassenverband der Schulen und in Vereinen sowie Sportgemeinschaften. Was geschieht aber, wenn sich die Verhältnisse des Aufgehobenseins in der Familie so verändern, dass Kinder Schlafgast in der eigenen Familie werden? Abgesehen von sozial-materiellen Härtefällen, die arbeitsbedingt eine längere Betreuung für ihr Kind in Anspruch nehmen müssen, ist die "Verweildauer" von Kindern in so genannten Kinderhäusern auch aus sozial abgesicherten Verhältnissen zum Teil von akzeptablen fünf bis sechs Stunden auf neun bis elf Stunden am Tag gestiegen. Anfragen, ja sogar Anträge von Eltern und Elterninitiativen reichen soweit, Kindereinrichtungen am Wochenende zu öffnen, damit man in Ruhe "shoppen" kann.
Der derzeitige Einfluss anderer Erziehungs- und Bildungsträger auf die Kinder ist damit objektiv größer und die Frage nach der Verantwortung für Kinder und deren Entwicklung stellt sich völlig neu. Deshalb ist es doch nur verständlich, dass sich auch die Sächsische Landesregierung in ihrer Verantwortung für Schule auf Positionen bezieht, die erwiesenermaßen zum Gelingen eines sinnerfüllten Lebens beitrugen und beitragen und sich nicht davor scheuen, sie konkret beim Namen zu nennen. Das ist neu, das ist vielen zu radikal.
Wer wiederum die Geschichte befleißigt und nach dem Maßstab für das Gelingen und Misslingen der Entwicklung von Mensch und Gesellschaft sucht, wird erkennen, dass jeder Verfassung von Staaten, jedem Vertragswerk zwischen Menschen und Menschengruppen, jedem Regelwerk für das Zusammenleben von bis hin zu einer schulischen Hausordnung die Grundpositionen der mosaischen zehn Gebote für das Miteinander von Menschen, oft auch in Beziehung zu Gott, zugrunde liegen. Das Scheitern von Systemen lag sicher nicht in erster Linie in der jeweiligen Konzeption, sondern in der Art und Konsequenz ihrer Umsetzung durch Menschen.
So wird doch bei näherem Hinsehen deutlich, dass Schule, in welchem Gesellschaftssystem auch immer durchlebt, vorrangig an der Person des Lehrers gemessen wird. Und hier bestätigt sich, dass "Mann und Frau" von dem Lehrer als Vorbild spricht oder sich seiner gern erinnert, der dem Anspruch, wie er im neuen sächsischen Gesetz verankert ist, gerecht wird.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 26.02.2004