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Aus der Region

Für viele der letzte Ausweg

Im sibirischen Omsk ist die Arbeit der Caritas nicht mehr wegzudenken

Omsk (sb / tdh) -Im neuen Russland gibt es wenig Reiche und viele Arme, das soziale Netz lässt die Schwächsten durchfallen. Viele Menschen können sich aus ihrer persönlichen Notlage nicht mehr selbst befreien. Im Omsker Caritaszentrum geben ihnen deutsche und österreichische Ordensschwester wieder eine Lebensperspektive. Unterstützt werden sie bei ihrer Arbeit auch aus Ostdeutschland.

"Die Not ist hier häufig viel offensichtlicher als in Deutschland", konstatiert Ursula Schneider von den "Armen Schwestern vom heiligen Franziskus". Die 42-jährige gelernte Krankenschwester arbeitet seit einem reichlichen Jahr in Omsk, gut 5000 Kilometer von ihrer Heimat entfernt. Schwierige Wohnverhältnisse, steigende Lebenshaltungskosten bei minimalen Löhnen und eine kaum vorhandene soziale Absicherung bescheren der Caritas einen stetigen Zustrom von Hilfe Suchenden. Und wer in Not ist, dem soll geholfen werden, ohne Frage nach Konfession noch Nationalität.

Mit ihrem Programm erreichen die sechs aus Deutschland und Österreich stammenden Ordensfrauen und ihre rund 50 russischen Mitarbeiter mehrere tausend Menschen in Not: 300 Bedürftige bekommen in der hauseigenen Suppenküche täglich eine warme Mahlzeit. Ein Ambulanzteam kümmert sich um die Obdachlosen am Bahnhof. Tuberkulosekranke und ihre Familien erhalten jeden Monat Grundnahrungsmittel und Zusatzvitamine. Ein Hospizteam besucht Schwerkranke, ein Mutter- Kind-Zentrum betreut Schwangere, Optikerinnen geben passende Brillen an Bedürftige aus. Ein Kinder- und Jugendklub bietet pädagogische Hilfe. "Viele Kinder bekommen bei uns die erste und die letzte Mahlzeit am Tag", weiß Schwester Ursula. Die unermüdliche Arbeit hat der Caritas den Respekt der örtlichen Behörden eingebracht.

Wer die Omsker Caritas um Hilfe bittet, der landet zuerst bei Valentina Schowskaja. Die Sozialarbeiterin klärt nach Rücksprache mit den städtischen Sozialämtern, wer welcher Unterstützung bedarf. Nicht selten vermittelt sie kranken oder älteren Menschen eine Operation oder einen Heimplatz. Dabei ist das keine leichte Aufgabe, wie die stellvertretende Caritas-Direktorin Tatjana Trofimoba, eine gelernte Juristin, erklärt: "Sie hilft den Betroffenen, ihre Probleme zu lösen, obwohl es den Gesetzen nach oftmals gar keinen Ausweg gibt."

Eigentlich müsste sich die in den vergangenen Jahren verbesserte wirtschaftliche Situation in Russland auch positiv auf die soziale Lage in Omsk auswirken. Immerhin werden Gehälter und Renten weitgehend regelmäßig ausgezahlt, die Regale in den Geschäften sind gut gefüllt. Der Zustrom von Hilfe Suchenden reist dennoch nicht ab. Das Problem hat sich sogar verschärft, glaubt Schowskaja. "Im Jahr 2000 war es möglich, einem Obdachlosen unkompliziert eine dauerhafte Unterkunft zu vermitteln, heute stehen 1000 Personen auf der Warteliste."

Das schwierigste soziale Problem ist die Wohnungsfrage, ist sich die Sozialberaterin sicher. Immer mehr Menschen landen auf der Straße. Selbst ein kleines Zimmer in einer so genannten "Kommunalka", der berüchtigten Gemeinschaftswohnung aus Sowjetzeiten, können sich viele nicht leisten. Wer den Übergang in ein halbwegs geordnetes Leben schafft, kann sich glücklich schätzen.

"Es gibt hier einiges, was der komsumverwöhnte Westeuropäer verarbeiten muss", sagt Schwester Ursula. Deshalb dürfe man niemals Vergleiche zu Deutschland ziehen. "Wer ständig vergleicht, kann die hiesige Situation nicht verstehen." Ihre Arbeit versteht sie dabei bescheiden als "Hilfe in Partnerschaft". Dankbar sind dafür auch die örtlichen Behörden, die die Hilfe Suchenden meist direkt zur Caritas schicken.

Begonnen hat die Caritasarbeit in Omsk ganz bescheiden im Herbst 1995 in drei kleinen Zimmern eines ehemaligen Studentenwohnheims. Die Ordensschwestern wollten zunächst in Not geratenen Russlanddeutschen helfen. "Die Caritas hat damals noch humanitäre Hilfstransporte nach Omsk gebracht", erzählt Schwester Ursula. Doch die langen Anfahrtswege und die schwierigen Zollabwicklungen haben das nahezu unmöglich gemacht. Lebensmittel werden deshalb inzwischen vor Ort gekauft. Zu dieser Hilfe zur Überlebenssicherung kommen Programme zur sozialen Integration und Förderung der Selbsthilfekräfte der Betroffenen hinzu. Aus einem anfänglich russlanddeutschen Hilfsprojekt ist längst eine überregionale Anlaufstelle für Bedürftige aller Nationalitäten, Konfessionen und Generationen geworden.

Die Aufbauphase ist überstanden, jetzt geht es darum, Verantwortung verstärkt an einheimische Mitarbeiter zu übertragen. Aber auf Extremsituationen muss man immer vorbereitet sein. Auch in Zukunft wird es nicht ohne Hilfe aus Deutschland gehen. Wenn etwa bei minus 40 Grad mal wieder die Zentralheizung in einem entlegenen Dorf versagt oder eine Überschwemmung Hab und Gut unter Wasser setzt, ist die Caritas mit unbürokratischer Soforthilfe gefragt. Und die nächste Katastrophe kommt bestimmt.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 10 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 04.03.2004

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