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Bistum Görlitz

Eine Reise in die Kirchengeschichte

Kirchenhistoriker Josef Pilvousek referierte in Cottbus zum Thema "Ketzer und Glaubensklärung"

Zu Gast in Cottbus: Kirchenhistoriker Josef Pilvousek (rechts) und Diplom-Theologin Andrea Wilke.

Cottbus -"Der Glaube lebt. Und weil er lebt, werden immer wieder neue Ausdrucksweisen gesucht. Erstarrter Glaube ist kein Glaube. Er stellt sich dem Menschen in unterschiedlichen Zeiten immer wieder anders dar", lautet eine These des Kirchenhistorikers Josef Pilvousek. Am 27. und 28. Februar war der Dozent der Theologischen Fakultät der Universität Erfurt zu Gast beim kirchengeschichtlichen Seminar im Cottbuser St. Johanneshaus.

Rund 20 interessierte Christen machten sich gemeinsam mit ihm zu einer Zeitreise in die über 2000-jährige Kirchengeschichte auf. Mit Sätzen wie "Manchmal wünscht man sich, dass die eine oder andere ,Ketzerei' wieder ins Wort gehoben würde, um theologisches Denken zu provozieren" rüttelte Pilvousek die Anwesenden auf. Doch das war auch Ziel dieser beiden Tage: Im Streitgespräch und in der Diskussion zur Mitte des Glaubens finden.

Schon die Einführung am Freitagabend führte zu mancher Auseinandersetzung. An die 30 Kurzsätze und Thesen waren den Teilnehmern vorgelegt worden. Man sollte entscheiden: Was versteckt sich hinter der These? Ein Dogma? Eine Irrlehre? Zwei kleine Beispiele dazu: Eine der beiden Thesen lautete: "Die Kirche darf keine Gewalt anwenden; sie hat keine direkte oder indirekte zeitliche Macht." Eine andere These: "Gott hat durch seinen Willensratschluss bestimmte Menschen zur ewigen Seligkeit vorherbestimmt." Nach längerer Diskussion im Kreis stand fest: Die erste These ist als Irrlehre abzulehnen, die zweite ist Dogma!

In seinem Grundsatzreferat schilderte Pilvousek dann die Hintergründe der Ketzerei und wie eine Person oder eine Gruppe zur Ketzerei kam. Plakativ formulierte er: "Zur Ketzerei gehört Größe und Treue zu seinen Idealen. Und eventuell sogar die Bereitschaft, dafür zu sterben." Ketzer liebten ihre Kirche, wollten verändern, prüften sich und ihre neuen, anders gearteten Überzeugungen lange in Gebet und Meditation. "Erst dann treten sie an die Öffentlichkeit." Heute gibt es nach Meinung des Kirchenhistorikers keine ausgesprochene Ketzerei mehr. Den Leuten von heute fehle diese bedingungslose Ernsthaftigkeit. Er nannte sie "neuzeitliche Spinner" oder "religiös Unzufriedene". Davon gäbe es heute leider sehr viele, so Pilvousek.

Die Diplom-Theologin Andrea Wilke, Medienbeauftragte des Bistums Erfurt, stellte die einzelnen Strömungen vor, die im Laufe der Jahrhunderte zutage traten. Eine Frage, die die Anwesenden dabei immer wieder beschäftigte: Hat ketzerisches Gedankengut trotz Verbot, Ächtung, Hinrichtung oder Widerruf im Nachhinein in der Kirche etwas bewirkt? In den ersten Jahrhunderten des Christentums etwa trat der "Chiliasmus" mit seiner "Nah-Erwartung der Endzeit" auf. Zwar 431 als Irrlehre verurteilt, wurde diese These bis heute immer wieder neu belebt. Joachim von Fiore vertrat sie im zwölfte Jahrhundert, im Vorfeld der Reformation lebte sie durch Thomas Müntzer wieder auf, und in heutiger Zeit rechnen Adventisten und Zeugen Jehovas immer neue Daten für den Weltuntergang aus. "Und wie reagieren wir, die wir in jeder heiligen Messe beten ,...bis du kommst in Herrlichkeit' auf diese Nah-Erwartung der Endzeit?", so die Frage der Teilnehmer. Pilvousek antwortete: "Wir haben weithin diese Nah-Erwartung aus unserem Christsein heraus rationalisiert und aus der Ernsthaftigkeit unseres Glaubens gestrichen." Weitere Überlegungen an diesem Wochenende waren: "Wie wird jemand Ketzer?", "Wie erfährt die heutige Welt etwas über Ketzer des Mittelalters, wenn nur selten Zusammenhängendes über ,Verlierer der Geschichte' für die Nachwelt hinterlassen wurde?"

Der Bogen moderner Irrlehren wurde bis in die Neuzeit zu Kirchenkritiker Eugen Drewermann geschlagen. Mit Aussagen wie "Jesus hat die Kirche nicht gewollt", machte sich Drewermann einen Namen und weicht mit seinen Veröffentlichungen immer wieder von der Lehrmeinung der Kirche in entscheidenden Punkten ab.

Abschließend bewertete Pilvousek die Ketzer mit den Worten: "Heute hat sich die Bezeichnung Ketzer, die in der Kirchengeschichte eine existenzbedrohende Diffamierung war, ins Positive gewendet. Diese ,Ketzer- Denker' hatten ein gemeinsames Ziel: Die Verwirklichung des Christentums als frohe Botschaft. Sie erlebten die Erfüllung ihres Wirkens nicht, aber ohne sie gäbe es keine Hoffnung und keine vorwärts treibende Bewegung im Christentum."

Klaus Schirmer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 10 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 04.03.2004

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