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Aus der Region

Mystik gibt es auch im Alltag

Ostdeutsche katholische Akademien eröffnen Veranstaltungsreihe

Leipzig (mh) -Von etwas Größerem ergriffen zu werden und daraus Gewissheit für das eigenen Leben und Handeln zu ziehen, ist eine Erfahrung, die Mystiker aller Jahrhunderte gemacht und beschrieben haben. Gibt es sie heute noch? Die ostdeutschen katholischen Akademien haben diese Frage aufgegriffen und in Leipzig eine umfangreiche gemeinsame Veranstaltungsreihe unter dem Titel "Mystischen Erfahrungen heute" gestartet. Anliegen sei es nicht, bei den mittelalterlichen Mystikern wie Meister Eckhart oder Gertrud von Helfta stehen zu bleiben, sondern nach entsprechenden Erfahrungen von heute zu fragen und nach den Veränderungen, die sie in der Welt bewirken, sagte die Direktorin der Berliner Akademie, Susanna Schmidt.

"Wie kann man über etwas reden, was ein Geheimnis ist?", fragte der Moderator der Veranstaltung, MDR-Journalist Thomas Bille. Antworten darauf versuchte das bunt besetzte Podium zu finden, dass sich die Veranstalter für den Auftakt zusammengestellt hatten.

Trotz allem Geheimnisvollen und Unaussprechlichen -es gibt heute mystische Erfahrungen und es gibt sie in verschiedenen Bereichen. Zuerst spielt natürlich die religiöse Mystik eine Rolle, wie Imam Halima Krausen (Hamburg) für den Islam, Karl E. Grözinger (Potsdam) für das Judentum und Schwester Johanna Schwalbe (Alexanderdorf) für das Christentum bestätigten. Mystische Erfahrungen kann es aber auch in ganz anderen Bereichen geben -Rupert Neudeck, der Gründer des Notärztekomitees Cap Anamur lieferte dafür ein Beispiel, als er berichtete, wie er in Eritrea mitten in einen Kampffliegerangriff geriet, den sicheren Tod schon vor Augen hatte und doch auf unerklärliche Weise gerettet wurde.

Die Suche nach mystischen Erfahrungen im abgeschiedenen Klosterleben gegen das konkrete Engagement für mehr Gerechtigkeit in der Welt auszuspielen, davon hält Schwester Johanna nicht viel, denn sie weiß: Auch das Gebet bewirkt etwas. Das bestätigten ihr immer wieder die Besucher im Kloster. "Beten macht einen Sinn. In wieweit ein Gebet wirksam wird, kann ich aber getrost Gott überlassen."

Imam Krausen hat erlebt, wie Gebet die Welt verändern kann, wenn beispielsweise Menschen unterschiedlicher Nationalität oder Glaubensrichtung gemeinsam beten. "Nichts ist besser geeignet Feindbilder abzubauen, als das Gebet."

Es gebe verschiedenen Formen, auf die Ungerechtigkeiten in der Welt zu reagieren, sagte Karl Grözinger: "Neudecks Aktionen sind eine Antwort, eine andere sind Formen der Mystik." Mystik sei aber nicht nur ein Phänomen in Katastrophenzeiten. Ihre verschiedenen Formen hätten auch Platz im konkreten Alltag einfacher Leute, meinte Grözinger. "Die Begegnung mit Gott kann auch in der Begegnung mit dem Mitmenschen stattfinden, wenn das Du sich plötzlich dem Ich öffnet, wie der jüdische Philosoph Martin Buber gesagt hat."

Warum gibt es heute so wenig Raum für mystische Erfahrungen? Neudecks Antwort: "Wir leben in einer abgezirkelten Welt mit geregelten Zuständigkeiten und Versicherungen für alle Eventualitäten." Doch gerade die moderne Gesellschaft, mit ihren technischen Möglichkeiten und mit ihren Konsumverlockungen, wecke in vielen Menschen eine Sehnsucht, berichtete Schwester Johanna von den Begegnugnen mit Klosterbesuchern. "Das kann doch nicht alles sein. Da muss es doch noch mehr geben." Diese Sätze höre sie oft. Welche Antwort kann es auf diese Sehnsucht geben? Mystische Erfahrungen lassen sich nicht erzwingen. Aber die großen Mystiker kannten Techniken, die an sie heranführen, erklärte Grözinger und nannte als Beispiele Gebet, Kasteiung, Rückzug aus der Welt. Eine andere Voraussetzung beschrieb Schwester Johanna: "Ich muss die Vielschichtigkeit unserer Wirklichkeit wahrnehmen. Licht kann ich als Quantenfeldenergie beschreiben und ich kann von Christus sprechen, der als Licht in unsere Welt gekommen ist. Beides sind Dimensionen der einen Wirklichkeit."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 15.01.2004

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