"Ich habe den Kommunismus zerstört -das macht Mut"
Eine Diskussion über die Mitgift der osteuropäischen Beitrittsländer
Berlin (mh) -Das Wissen um den Wert von Demokratie und Menschenrechten ist ein wichtiges Erbe, das die mittel- und osteuropäischen Beitrittsländer in die am 1. Mai größer werdende Europäische Union (EU) einbringen können. "Wir haben die Erfahrung gemacht, dass ein Übergang von einer Diktatur zu einer Demokratie möglich ist", fasste Martina Lázarová (Tschechische Botschaft in Berlin) ihre Antwort auf die Frage nach der "Mitgift der EU-Beitrittsländer" zusammen. Gefragt wurde danach während einer Tagung der Katholischen Akademie Berlin zum Thema "Christliche Dissidenten 1989 und die neue EU".
Die Teilnehmer eines Podiumsgespräches wiesen aber auch auf die mit dem EU-Beitritt für die Menschen in den ehemaligen Ostblock-Ländern verbundenen Schwierigkeiten hin. Ein Problem skizzierte Roza Gräfin Thun (Robert-Schuman-Stiftung Warschau): Der Enthusiasmus von 1989 / 90 sei vorbei. "Unsere Gesellschaften sind müde von den Veränderungen."
Ein Ausdruck dafür ist eine verbreitete Kommunismus-Nostalgie in den ehemaligen Ostblock- Ländern, auf die der ungarische Theologe András Máte- Tóth hinwies. Hinzu komme die Erfahrung, "dass die Menschen, die die Wende gemacht haben, heute nicht an der Macht sind". Stattdessen spielen häufig die Ex-Kommunisten politisch und wirtschaftlich wieder eine wichtige Rolle.
Auf eine ostdeutsche "Ermüdungserscheinung" wies Friederike von Kirchbach (Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages) hin: "Wir haben gelernt, für die Demokratie zu kämpfen, aber nicht mit ihr umzugehen", sagte sie und belegte das mit der Feststellung, dass es wohl kaum eine Wende-Demonstration ohne die Forderung nach freien Wahlen gab, während heute die Wahlbeteiligung in Ostdeutschland beispielslos niedrig sei
Dass diese Ermüdungserscheinungen durch den EU-Beitritt einem neuen Enthusiasmus weicht, ist nach Ansicht der Diskussionsteilnehmer zunächst eher unwahrscheinlich: Für Ungarn erwarte er eine schwierige Situation, sagte András Máte- Tóth. Das werde sich bei den nächsten Wahlen widerspiegeln: "Wegen dieser Schwierigkeiten wird sich die Regierung, die uns in die EU geführt hat, verabschieden müssen". Máte-Tóth: "Wir sind noch nicht im Gelobten Land angekommen. Vielleicht brauchen wir dazu noch einmal 15 Jahre Wüstenwanderung."
Statt zu resignieren sollten die Menschen die Gestaltung Europas selbst in die Hand nehmen, betonte Roza Thun: "Dieses Europa wird so sein, wie wir es machen." Es seien immer nur wenige, die die Welt verändern. "Die Leute, die vor 15 Jahren die Demokratie erkämpft haben, sind auch heute bereit, dafür alles zu geben." Den für solches Engagement notwendigen Mut versuche sie ihren Kinder zu machen: "Ich sage immer zu ihnen: Ich habe mit meinen eigenen Händen den Kommunistmus zerstört. Also brauchst du auch keine Angst zu haben."
Dass die Christen und die Kirchen bei der Gestaltung des neuen Europa eine wichtige Rolle spielen, war unstrittig. Unterschiedlich waren allerdings auch hier die Erfahrungen, die die einzelnen Länder einbringen können. Friederike von Kirchbach wies etwa auf die Säkularisierung in Ostdeutschland hin: "Die Christen leben hier in einer Gesellschaft, die nicht mehr selbstverständlich mehrheitlich christlich ist."
Gerade vor diesem Hintergrund sei es für die Christen und die Kirchen wichtig, ihr Denken in konfessionellen und in nationalistischen Kategorien aufzugeben, unterstrich Roza Thun: "Ob wir katholisch oder protestantisch sind, ob wir in Deutschland oder Polen leben -wir sind Christen in Europa." Bedauerlich sei es deshalb, dass es bisher zwischen den einzelnen Ländern in der Laienarbeit und zwischen Pfarrgemeinden und kirchlichen Einrichtungen so wenig Zusammenarbeit gebe, stellte Roza Thun fest. Dabei gebe es eine wichtige Aufgabe, der sich die Christen widmen können. Friederike von Kirchbach formulierte sie als Frage: Wie kann man die Freude auf Europa auch in den "Verliererschichten" verbreiten? Um die Menschen in den alten und neuen EU-Ländern, denen es nach dem 1. Mai schlechter geht, müssten sich Christen besonders kümmern.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 01.04.2004