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Ein Ehrenkapellknabe

Vor 100 Jahren wurde der Priester Franz Seinsche geboren

Franz Seinsche: Mit den Dresdner Kapellknaben eng verbunden.

Als 1941 die Nazis in Dresden zwei geistliche Präfekten der Dresdner Kapellknaben verhaftet hatten -Alois Andritzki und Alfons Duschak -, hatte der Propst der Hofkirche Wilhelm Beier große Not, für die Jungenschar einen neuen Präfekten zu finden. In dieser Zeit war Franz Seinsche als Luftwaffensoldat nach Dresden für den Dienst in der Schreibstube abkommandiert. Als Priester war es ihm ein Bedürfnis, gelegentlich die heilitge Messe feiern zu dürfen. Er bat in der Hofkirche darum. Dabei erlebte er den Gesang der Kapellknaben, die ihm bis dahin völlig unbekannt waren, denn er kam aus dem Rheinland.

Der Knabenchor interessierte ihn, er befragte deshalb den Propst und erfuhr vom Schicksal der inhaftierten Präfekten. Propst Beier fragte Franz Seinsche, ob er sich in seiner Freizeit etwas um die Jungen kümmern könne. Seinsche sagte zu und erschien an einem Samstag nachmittags bei uns im Internat auf der Schlossstraße 32, scharte uns um sich und erzählte uns von seinen Jugendbüchern, die er geschrieben hat: "Brandfackeln über den Eifelhöhen", "Jungen im Krieg" und "Blinkfeuer über der Ostsee". Gebannt hörten wir zu und konnten kaum den nächsten Samstag erwarten. So entwickelte sich eine Freundschaft.

Nach seiner Versetzung und unserem von den Nazis verordneten Umzug in Privatquartiere war nur noch sporadischer Kontakt möglich. In Erinnerung an diese Zeit mit uns Kapellknaben schrieb Franz Seinsche nach dem Krieg das Jungenbuch "Heiko". Ein Junge flieht aus Böhmen über Dresden nach Westdeutschland. Später schrieb er "Der Sängerkrieg von Wilshausen", die Geschichte von zwei rivalisierenden Knabenchören im Rheinland. Auch bei dieser Geschichte bezieht er sich auf Erinnerungen an die Dresdner Zeit.

Der Bau der Mauer 1961 und das Aufgehen in den beruflichen Aufgaben als Religionslehrer in Essen, bedingten eine längere Pause in unseren Beziehungen. Als ich in den späten 70er Jahren einen Priester aus dem Rheinland -Johannes Angenvoort -zu Besuch hatte, tauschten wir uns über unsere kirchenmusikalischen Anliegen aus. Dabei erzählte ich ihm auch von Franz Seinsche. "Den kenne ich. Soll ich ihn grüßen?" Er tat es umgehend und ich bekam bald einen Brief von Franz Seinsche, der mitteilte, dass er im Ruhestand sei und in der ganzen Welt herumführe, aber noch nicht in der DDR gewesen sei. "Wie macht man das?" Ich besorgte ihm eine Einladung und bald konnte er erleben, was aus den Kapellknaben geworden war. Er erzählte den Kapellknaben wieder aus seinen Büchern. Es verging wohl kein Jahr, ohne dass er uns besuchte. Er half uns beim Beschaffen von für einen Chor nützlichen Dingen, einen Kassettenrecorder und Noten beispielsweise. Als Zeichen unsrer Freundschaft ernannten wir ihn zum Ehrenkapellknaben. Und das hat er sehr ernst genommen. Sein letztes Buch hat er nicht mehr geschrieben. Er hat es auf Kassetten gesprochen. "Der Kummerkasten" ist sein Titel. Eine Geschichte, die er ausdrücklich den Kapellknaben gewidmet hat.

Am 10. April 1904 wurde Franz Seinsche in Bonn geboren. Wir denken an ihn an seinem 100. Geburtstag und erinnern an einen Priester, der seine große Gabe des Erzählens in den priesterlichen Dienst vor allem für junge Menschen gestellt hat. Er starb am 12. Dezember 1987.

Konrad Wagner

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 14 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 01.04.2004

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