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"Am Besten ist, Ihr macht mit"

Politik ist nicht nur Sache der Politiker -Ein Tag mit dem Thüringer Sozialminister und Katholiken

Nimmt es mit einem Lächeln: Aktenstudium schon am Morgen.

Erfurt -Klaus Zeh fastet. Gemeint ist nicht der Verzicht auf ein paar geliebte Gewohnheiten wie Schokolade oder das Feierabendbier. Nein, Zeh fastet ganz und gar, 40 Tage ohne einen Happen zu essen. Wenn er in seinem Dienstwagen sitzt, nimmt er ab und zu einen kräftigen Schluck Tomatensaft. Das ist alles. "Fasten macht den Kopf frei für Wesentliches", sagt er. Der Mann ist Sozialminister im Freistaat Thüringen. Und wenn man ihn nach seiner Identität fragt, wobei andere straucheln oder ausweichen, kommt es bei ihm wie aus der Pistole geschossen: "Der Glaube gibt mir die Kraft, meine täglichen Aufgaben zu bewältigen und für das Land zu arbeiten." Und der Aufgaben und Probleme sind in Thüringen nicht wenig -16, 17 Stunden am Tag ist Zeh auf den Beinen. So genau hat er das wohl nie mitgezählt.

In schwieriger Zeit müssen Menschen Verantwortung übernehmen

Der Katholik Klaus Zeh ist ein politisches Kind der Wende, was nicht bedeutet, dass er in seinem früheren Leben als studierter Informationstechniker mit Promotion unpolitisch gewesen wäre. Der gebürtige Leipziger war Sprecher der Katholischen Studentengemeinde in Dresden. Bereits mit 16 hat er 1968 öffentlich gegen den Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei protestiert. Schlüsselerlebnis für eine politische Karriere waren wohl die Kommunalwahlen von 1989 in der DDR, die er als Mitglied einer kirchlichen Gruppe beobachtete -der Wahlbetrug von damals war offensichtlich und für viele die Initialzündung, die schließlich die Wende einläutete.

Zeh engagiert sich beim Demokratischen Aufbruch (DA), schreibt dessen Programm mit und führt die Bürgerbewegung in die CDU. Kompass für seine politische Arbeit war dabei die christliche Soziallehre. Zeh: "Wichtig war es für mich, in schwieriger Zeit Verantwortung zu übernehmen". Seit 1990 ist er Mitglied des Landtages, war bis 1994 Finanzminister in Thüringen, danach stellvertretender Fraktionsvorsitzender und Landesgeschäftsführer der CDU, ehe ihn Ministerpräsident Dieter Althaus im letzten Jahr als Sozialminister erneut ins Kabinett holte.

Ein Job, der Klaus Zeh nicht nur Spaß macht, sondern ihm auch die Bürde seiner Verantwortung deutlich macht. "Eine Gesellschaft offenbart sich darin, wie sie mit ihren schwächsten Mitgliedern umgeht", lautet das Credo, wonach er seine Politik ausrichtet. Dafür braucht er ein starkes Team. Und meist sind die am hilfreichsten, die man nicht sieht, aber bei denen man spürt, dass sie da sind. Seine Referentin Gertrud Schnauß zum Beispiel, die nicht nur aufpasst, dass alles zur richtigen Zeit am richtigen Platz liegt, sondern auch auf sein persönliches Befinden achtet. Oder sein Fahrer Michael Böck, der noch jede Zeitverzögerung an der Grenze des Erlaubten wieder rausholt.

Zeh ist ohne Zweifel ein fleißiger Politiker, den vor allem eins interessiert: Das Wohl der Menschen, die im Land sind. Und da macht er keine Ausnahme. Zu seinen angenehmsten Aufgaben gehört dabei die Übergabe von Fördermittelbescheiden wie den für die Behindertenwerkstätten der diakonischen Einrichtung Christophorushof in Altengesees. "Ich freue mich, heute hier zu sein", sagt er nach der Begrüßung -und das klingt ehrlich.

Wenn der Minister kommt, dann gibt es ein großes Hallo. Stolz führen die Angestellten Klaus Zeh durch die Werkstätten und den Wohnbereich der Behinderteneinrichtung. Zeh geht auf die Menschen zu, stellt sich mit ihnen auf eine Stufe. Etwas, was man nicht mehr von jedem sagen kann, der politische Verantwortung trägt. André zeigt dem Minister sein Zimmer und begrüßt ihn wie einen alten Freund, von Martin in der Töpferwerkstatt bekommt der hohe Besuch aus Erfurt die neuen Zähne zu sehen: Klaus Zeh scheint für alles aufgeschlossen zu sein. Das Wichtigste bleiben die Menschen, denen er begegnet. Und wenn der Minister fragt "Wie geht's?", dann ist auch das ehrlich gemeint, keine Verlegenheit, keine Floskel.

In einem Behindertenheim der Arbeiterwohlfahrt wird der Minister herrschaftlich empfangen: Ein großes Kaminfeuer brennt im Empfang des ehemaligen Gutshauses -wunderschön, aber für Behindertenarbeit völlig ungeeignet. Die Treppen sind zu steil und nicht behindertengerecht, die sanitären Anlagen unzureichend, die Wohnräume beengt. Trost bringt der Minister mit einem Fördermittelbescheid, denn es soll ein Neubau in unmittelbarer Nähe entstehen. Was aus dem jetzigen Haus wird, bleibt ungewiss. "Höchstens ein Liebhaberstück für jemande der Geld hat", witzelt einer der anwesenden Journalisten. Was des einen Freud ist, ist des anderen Leid. Die Bürger werden dem Verfall der einst strahlenden Dorfmitte wohl zusehen müssen. Klaus Zeh kennt diese Probleme, hört sich die Sorgen der Menschen geduldig an -für alles aber kann auch er nicht zuständig sein.

Wenn man Zeh danach fragt, woher er die Ausdauer, die Geduld und die Kraft nimmt, dann sind seine Antworten immer ähnlich: Der Glaube und die Familie. Von 1979 bis 1983 besuchte er einen Theologischen Fernkurs, der ihm so wichtig war, dass er heute in seiner Vita für den Landtag auftaucht. Zudem ist er Familienmensch, wobei für sie nur wenig Zeit bleibt. "Es ist oft nicht so wichtig, wie viel Zeit man hat, sondern dass man die Zeit nutzt, die man zur Verfügung hat", meint der Minister.

Eines steht fest: Wer Klaus Zeh erlebt, bei dem schwindet das Bild vom eiskalten, korrupten und nur auf den eigenen Vorteil bedachten Politiker. Zeh lacht meistens, herzlich und freundlich. Unwillkürlich stellt sich die Frage, was man heute für eine Vorstellung von politischer Arbeit und Politikern hat. Meist schlecht geredet von Medien und Meinungen, die sich die "blutigen Nachrichten" herausgreifen, um eine gesamte Klasse zu diskreditieren. Klaus Zeh ist nicht Politiker geworden, um die Leute hinters Licht zu führen. "Schon als Finanzmi- BIOGRAFISCHES nister hab' ich sehr viel im sozialen Bereich mitgearbeitet und die Strukturen mit aufgebaut", erzählt er. "Während der Wende ist mir klar geworden, dass man sich engagieren muss, um etwas zu bewegen. Wer sich nicht engagiert, darf sich auch nicht über die bestehenden Verhältnisse beschweren", ist der Thüringer Minister überzeugt. "Ich sage den Leuten, die sich über die Parteien aufregen: Am besten ist, ihr geht rein und macht mit."

Keine Patentrezepte dafür, wie man einen zentralistischen Staat umbaut

Für solche Menschen wie Klaus Zeh war die Politik nach der Wende eine Reise ins Ungewisse. "Wir hatten keine Patenrezepte und wussten nicht, wie man einen zentralistisch geführten Staat umbaut", erinnert sich der Ehemann und Vater von zwei Kindern. Dabei verweist er auf die Hilfe aus dem Westen, die heute fast in Vergessenheit geraten ist. Mit Hochachtung spricht er von seinem früheren Chef, dem ehemaligen Ministerpräsidenten Thüringens Bernhard Vogel, der sich wie kein zweiter auf das Abenteuer Ost eingelassen habe.

Auch für Klaus Zeh der politische Alltag nicht immer eitel Sonnenschein, und so manchen Unmut in der Bevölkerung kann er verstehen: "Das Problem ist, dass wir einen riesigen Reformstau haben, der gelöst werden muss, wenn es sein muss, auch im politischen Streit." Demokratie sei nicht Harmonie, sondern die Auseinandersetzung um die bessere Lösung. Die Zukunft sieht er optimistisch, wenn es gelingt, auch über die Parteigrenzen hinweg zu dieser Lösung zu finden. Und die landläufige Meinung, dass die Jungen aus dem Osten abwandern und nicht wiederkommen, kann er nicht teilen. "Meine Erfahrungen sind oft andere."

Es ist zurzeit nicht nur die Last des Amtes, die Klaus Zeh umtreibt. Das Land ist im Superwahljahr, wo in insgesamt 13 Bundesländern neue Parlamente und kommunale Vertretungen gewählt werden. Zudem kommt die Wahl zum Europäischen Parlament -auch in Thüringen wird ein neuer Landtag gewählt. Zumindest die Umfragen für die jetzige Regierung stehen gut. Auf die Frage, ob Klaus Zeh den Job als Sozialminister weitermachen würde, meint er: "Daran denke ich jetzt noch nicht." Da ist er ganz Gegenwartsmensch. Ein bisschen muss er dann aber doch lächeln, denn nicht nur er weiß, dass er seine Arbeit gerne macht. Worauf er sich besonders freut, ist das Osterfest mit seiner Familie. Aber selbst am Ende der Fastenzeit bleibt er bescheiden: "Ich werde erstmal ein Stück Schwarzbrot essen."

Andreas Schuppert

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 08.04.2004

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