Dieses Urteil wird Weichen stellen
Bundesverfassungsgericht befasst sich mit dem Schulfach LER
Berlin (kna) - Der Konflikt um das Brandenburger Schulfach "Lebensgestaltung - Ethik - Religionskunde" (LER) geht in die letzte Runde: Für den 26. Juni hat das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eine eintägige mündliche Verhandlung zur Klage von Unionsparteien, Kirchen sowie Eltern- und Schülergruppen gegen das Fach anberaumt. Von dem Urteil, dessen Verkündung spätestens im Herbst erwartet wird, erhoffen sich Gegner wie Befürworter von LER eine klare Weichenstellung. Es könnte darüber hinaus aber auch in ganz Deutschland für das Verhältnis zwischen Religionsunterricht und seinen Alternativfächern bedeutsam werden.
Anlass zur Konzeption des bundesweit einmaligen Fachs LER nach der Wende war die Tatsache, dass drei Viertel der ostdeutschen Bevölkerung konfessionslos sind. Ein schulischer Religionsunterricht wie in den meisten alten Bundesländern konnte demnach nur eine Minderheit der Schüler erreichen. Dessen ungeachtet führten die anderen neuen Bundesländer konfessionellen Religionsunterricht nach Artikel 7 des Grundgesetzes als ordentliches Lehrfach ein. Zusätzlich bieten sie für konfessionslose Schüler wert-orientierende Alternativfächer an. Nur Brandenburg hat einen anderen Weg beschritten.
Seit 1996 wird dort LER schrittweise als werteorientierendes Pflichtfach etabliert. Schüler können sich nur auf Antrag von LER befreien lassen, "wenn ein wichtiger Grund dies rechtfertigt". Derzeit wird der Unterricht in 70 Prozent der allgemein bildenden öffentlichen Schulen erteilt, jeder zweite Schüler der Klassen 7 bis 10 nimmt an LER teil. Zudem wird LER in Grundschulen erprobt. Der Religionsunterricht hat nach dem Brandenburger Schulgesetz nur den Status eines nicht ordentlichen, freiwilligen Lehrfachs in alleiniger Verantwortung der Kirchen. In diesem Rahmen erteilt nur die evangelische Kirche Religionsunterricht an den Schulen des Landes. Die katholische Kirche bietet den Unterricht in ihren Gemeinden an.
Die katholische Kirche distanzierte sich von Anfang an von LER, während sich die evangelische Kirche zunächst an dem Modellversuch beteiligte. Nach ersten Unterrichtserfahrungen mit dem Fach stieg sie jedoch aus den Vorbereitungen aus.
Kernpunkt der kirchlichen Kritik ist, dass die Religionen dort im Unterschied zum Religionsunterricht nur aus der "Außenperspektive" dargestellt würden. Kirchenvertreter würden "wie Tiere im Zoo" vorgeführt, brachte der Berliner Theologe Richard Schröder die Ablehnung auf den Punkt. Befürworter von LER halten dagegen, die Kirchen wollten mit dem Religionsunterricht nur eine Re-Christianisierung des Ostens betreiben.
Da die Landesregierung die Einführung des Fachs dennoch weiter vorantrieb, wandten sich die LER-Gegner an das Bundesverfassungsgericht. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion beantragte ein Normenkontrollverfahren gegen Brandenburgs Schulgesetz; das Erzbistum Berlin, die Bistümer Magdeburg und Görlitz, die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg sowie Gruppen katholischer und evangelischer Eltern und Schüler erhoben Verfassungsbeschwerden. Sie richten sich vor allem dagegen, dass dem Religionsunterricht in Brandenburg der Status eines ordentlichen Schulfach verweigert wird. Auch seien Einführung, Konzeption und Erteilung des Fachs teilweise nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
Die acht Richter des ersten Senats müssen zunächst darüber entscheiden, ob das Land Brandenburg zu Recht den Artikel 141 des Grundgesetzes für sich in Anspruch nimmt. Darin ist festgelegt, dass ein ordentliches Lehrfach Religionsunterricht nicht in den Ländern eingeführt werden muss, in denen wie in Bremen und Berlin am 1. Januar 1949 eine andere landesrechtliche Regelung bestand. Diese Einschränkung ist unter dem Namen "Bremer Klausel" bekannt. Brandenburg macht geltend, dass 1949 auf dem Territorium des heutigen Bundeslandes eine vom Grundgesetz abweichende Regelung zum Reli-gionsunterricht bestanden habe.
Der anfänglich hitzige Streit um LER hat allerdings an Schärfe verloren. So wenden sich Stimmen gegen eine Engführung der Auseinandersetzung auf die Frage pro oder contra LER. Der Leiter der Zentralstelle Bildung der Deutschen Bischofskonferenz, Eckhard Nordhofen, betonte auf Anfrage, die Klage der Kirchen richte sich nicht primär gegen die Existenz von LER, sondern gegen seine Monopolstellung. Im Falle der Einführung eines ordentlichen Fachs Religionsunterricht könne die Kirche eine Beibehaltung von LER und "sinnvolle Kooperationen" akzeptieren, sofern das Fach weltanschaulich neutral unterrichtet werde. In seiner Meinung bestärkt sieht sich Nordhofen durch die im Jahr 2000 veröffentlichte umfassende Studie der Bischofskonferenz zum Religionsunterricht. Demnach erteilten die Schüler dem Fach trotz der Konkurrenz der inzwischen bundesweit eingeführten Alternativfächer "überdurchschnittlich gute Noten".
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 21.06.2001