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Bistum Görlitz

Ein Modell, über das man nachdenken will

Zum ersten Mal begingen die Christen in Görlitz die Sterbestunde Jesu gemeinsam

Am Heiligen Grab: Auch viele Katholiken folgten der Einladung des Bischofs, am ökumenischen Kreuzweg und der Passionsandacht teilzunehmen.

Görlitz (as) -Es war eine kirchengeschichtliche Sensation. Zum ersten Mal begingen katholische und evangelische Christen in Görlitz die Sterbestunde Jesu am Karfreitag gemeinsam -am Heiligen Grab in der Altstadt. Dafür hat Bischof Rudolf Müller in Absprache mit den Görlitzer Pfarrern die offiziellen katholischen Karfreitagsliturgien auf den Vormittag verlegt, um den Gläubigen die Teilnahme am ökumenischen Kreuzweg von der Stadtkirche St. Peter und Paul zum bedeutendsten Görlitzer Baudenkmal zu ermöglichen.

Eine mutige Entscheidung, die nicht ungeteilten Zuspruch fand. Aber der Anlass, der 500. Jahrestag der Vollendung des Heiligen Grabes, war Grund genug, um aus dem Gewohnten auszusteigen und etwas Neues zu wagen. "Unserer Stadt mit ihrer christlichen Tradition sind wir dieses gemeinsame Zeugnis des Glaubens schuldig", schrieb der Bischof in seiner Einladung an die Görlitzer Gemeinden. Und die Anwesenheit vieler Katholiken zeigte, dass es ihnen auch ein persönliches Anliegen war. Bischof Müller und sein evangelischer Amtskollege Klaus Wollenweber führten den Zug an.

An der Peterskirche zu Beginn des Kreuzweges waren noch die Regenschirme aufgespannt. Mit etwa 500 Teilnehmern hatten die Veranstalter gerechnet. Gekommen sind etwa 700 Menschen, die sich auch vom schlechten Wetter in Görlitz nicht abhalten ließen. Der Weg führt entlang der nach den Abmessungen in Jerusalem nachgebildeten Via Dolorosa durch die Görlitzer Altstadt. Am "Jesus-Bäcker" wird an die Gläubigen das "Tränenbrot" verteilt als Symbol und Erinnerung daran, dass Jesus auf seinem Weg nach Golgotha keine Wegzehrung hatte. Und der Himmel hatte schließlich Erbarmen, denn die Regenwolken verzogen sich.

Der evangelische Bischof Wollenweber erinnerte in seiner Ansprache an den im Konzentrationslager umgekommenen Theologen Dietrich Bonhoeffer, der im Angesicht des Todes gesagt hat: "Das ist nicht das Ende, sondern der Beginn des Lebens." Dies sei die Botschaft von Karfreitag und Ostern, betonte Wollenweber. Das Kreuz sei das Symbol des Lebens und deshalb mit anderen Symbolen, um die heute in der Gesellschaft so heftig gestritten werde, nicht zu vergleichen. "Karfreitag ist der Tod des Todes."

Dieses Kreuz sei das Plus gewordene Minus der Welt, sagte Bischof Rudolf Müller in Anlehnung an ein Bildwort von Kardinal Joachim Meisner. Im Kreuzpunkt treffen sich Horizontale und Vertikale. Hier würden Himmel und Erde, Oben und Unten miteinander verbunden. Aus dem Minus der Horizontale werde das Plus, das den Menschen Zuversicht und Hoffnung gebe. Der Kreuzpunkt, das Leiden und Sterben Jesu, sei das Geschenk von Karfreitag. Beide Bischöfe spendeten am Ende der Passionsandacht den Segen.

Für diejenigen, die dabei waren, war der ökumenische Kreuzweg ergreifend. Eine Neuauflage könnte sich der für die Öffentlichkeitsarbeit der evangelischen Kirche in Görlitz zuständige Pastor Ulrich Wollstadt durchaus vorstellen. "Die Andacht war zwar einmalig geplant, aber ich denke, viele waren so beeindruckt, dass man in Zukunft über eine feste, gemeinsame Veranstaltung nachdenken müsste." Die Passionsandacht zur Sterbestunde Jesu, die von den evangelischen Christen jedes Jahr am Heilgen Grab begangen wird, sei zwar Tradition. Möglich sei aber eine zusätzliche ökumenische Passionsandacht, die zu einem anderen Zeitpunkt stattfinden müsste, da die katholischen Christen zur Sterbestunde Jesu die Karfreitagsliturgie begehen. Ein Modell, über das man in Görlitz zumindest nachdenken will.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 16 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 15.04.2004

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