Kirche ist kein Konzertsaal
Zum Verständnis von Kirchenmusik
Der Dresdner Domkapellmeister i. R. Konrad Wagner ist vor allem wegen seiner über 40-jährigen Tätigkeit als Leiter der Kapellknaben bekannt. Im folgenden Beitrag setzt sich der engagierte Kirchenmusiker mit einem jungen Phänomen auseinander: dem Applaudieren bei geistlichen Konzerten und in künsterlisch gestalteten Gottesdiensten:
die Hände, jauchzt Gott zu mit lautem Jubel." Diese Aufforderung aus Psalm 47 ist klar auf Gott gerichtet. Ihm sollen wir zujubeln, ihm sollen wir danken, ihm unsere Bitten vortragen. Mit Unbehagen erleben wir heute im Zusammenhang mit der Kirchenmusik eine Umkehrung dieser Aufforderung. Unser Applaudieren gilt nicht mehr Gott, sondern Künstlern, die sicher in guter Absicht und oft mit gutem Erfolg geistliche Musik in Kirchen vortragen. Neben dem berechtigten Dank dafür werden leider gedankenlos Praktiken, die in Konzertsälen angebracht sind, auf den Kirchenraum übertragen. Es wird nicht nur geklatscht, es werden Blumen überreicht, man verbeugt sich, die Solisten treten einzeln vor und vielleicht zählt man schon die "Vorhänge" wie im Theater. Mitunter wird selbst nach liturgischen Gottesdiensten geklatscht. Man dreht dem Altar den Rücken zu, wendet sich zur Orgel- oder Sängerempore und lässt den manuellen Emotionen freien Lauf bis endlich der Organist, der Chorleiter oder die Solisten an der Emporenbrüstung erscheinen und sich artig bedanken.
Man verzeihe mir, wenn ich diese Situation so drastisch geschildert habe. Aber einigen unsrer "aufgeklärten" Zeitgenossen ist das Gespür für das Heilige in unseren Kirchen verloren gegangen -das Heilige, das im Altar und im Tabernakel geheimnisvolle Wirklichkeit ist.
Eine Rückbesinnung auf ein dem Kirchenraum angemessenes Verhalten wäre angebracht. Wir erleben unsere Kirchen heute zu einseitig nur als Versammlungsraum der Gemeinde. Christus als unserem Bruder in der Mitte der Gemeinde zu begegnen, ist eine wunderbare Erfahrung. Es würde uns aber etwas Wesentliches verloren gehen, wenn wir den Ort, an dem wir Christus als Gottessohn begegnen, nicht mehr ernst nehmen und entsprechend respektieren.
In seiner Kirchweihmotette "Locus iste" hat Anton Bruckner diesem Gedanken musikalisch einen tiefen Ausdruck verliehen: "Von Gott ist dieser Ort geworden (a deo factus est)", ein "unermessliches Geheimnis (inaestimabile sacramentum)" ist die Gegenwart Gottes in unseren katholischen Kirchen und er ist "irreprehensibilis" -ein lateinisches Wort, für das wir in der deutschen Sprache keine adäquate Übersetzung finden: unbegreifbar, untadelig, ohne Makel! Bruckner hat sich mit ehrfurchtsvoll gestammelten Tönen an dieses Geheimnis herangetastet. Ein Klatschen nach einer so gesungenen Motette wäre ein Frevel.
Zu Beginn meiner Tätigkeit als Kirchenmusiker wurde streng darauf geachtet, dass in der Kirche keine Konzerte stattfanden. "Kirchenmusikalische Andachten" oder auch "Geistliche Chormusik" nannten wir es, wenn wir in andere Gemeinden fuhren und dort sangen. Wir verstanden uns als Verkünder des Wort Gottes. Wir freuten uns, wenn es gut gelungen war und wir spürten, ob wir unsere Zuhörer erreicht hatten. Vermisst haben wir nichts, wenn wir unter Schweigen nach einem solchen Gottesdienst aus der Kirche ausgezogen sind. Ja, wir haben nicht einmal daran gedacht, dass die Gemeinde uns mit Klatschen danken könnte.
Werden künftig Zuhörer von Kirchenkonzerten den Kirchenraum wieder vom Konzertsaal unterscheiden lernen und ihre Anerkennung schweigend zollen? Auf jeden Fall könnte man Zeichen setzen, die auf diesen Unterschied hinweisen. Beispielsweise könnten Chöre am Ende des Konzertes die Chorformation aufbrechen, zur Seite gehen und den Blick zum Altar freigeben. Oder die Künstler könnten demonstrativ die ihnen überreichten Blumen am Altar oder vor dem Tabernakel niederlegen. Dann würde deutlich werden, dass ihr Tun dem gegolten hat, dem die Komponisten ihre Werke gewidmet haben: Gott. Solche Konzerte wären doch eine besondere Art von Gottesdienst.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 13.05.2004