Konzentration auf das Wesentliche
Bischof Reinelt zu "Gemeinden im Aufbruch"
Frage: In verschiedenen deutschen Bistümern haben in den vergangenen Jahren unter Bezeichnungen wie "Diözesanforum", "Pastoralforum" oder "Pastorales Zukunftsgespräch" Prozesse der Erneuerung und Umstrukturierung stattgefunden. Sie haben sich mit der Aktion "Gemeinden im Aufbruch" für einen anderen Weg entschieden, der sich fast ausschließlich auf die Ebene der Gemeinde beschränkt. Auf die Erarbeitung bistumsweit umzusetzender Beschlüsse wird dabei völlig verzichtet. Warum?
Reinelt: Wir hatten vorher in einigen Diözesen nach Erfahrungen mit derartigen Prozessen gefragt. Die Zufriedenheit mit dem, was sich einige Jahre nach Verabschiedung der Beschlüsse tatsächlich verändert hatte, war dort meistens nicht so hoch, dass es uns zur Nachahmung motiviert hätte. Der Ausgangspunkt für unsere Überlegungen war ja das Problem der fehlenden Spiritualität. Wir spüren das nicht nur in unserer Diözese, sondern in ganz Europa. Wenn wir einen Schritt nach vorne tun wollen, müssen wir uns auf Spiritualität besinnen, und das sollte nicht nur Sache Einzelner, sondern ganzer Gemeinden sein.
Frage: Sie empfehlen den Gemeinden, sich auf einen Schwerpunkt zu konzentrieren: auf die Vertiefung des Glaubens der Kerngemeinde, auf die Kontaktpflege mit Gemeindemitgliedern, die kaum noch aktiv am Gemeindeleben teilnehmen oder auf missionarische Aktivitäten. Ist es aber nicht meistens so, dass in einer Gemeinde diese Aspekte entweder alle drei sehr gut funktionieren oder aber alle drei gleichermaßen ausbaufähig sind?
Reinelt: Es ist wahr, dass die drei Schwerpunkte untrennbar zusammengehören. Sie zielen aber alle auf das Wesentliche. Gemeinden können sich durchaus verzetteln in der Ablenkung auf unbedeutende Lebensfelder. Ein Pfarrgemeinderat kann sich mit Organisation verzetteln. Eine Gemeinde kann sich damit zufrieden geben, sich nur noch ab und zu bei fröhlichen Festen zu treffen. Manchen Gemeindemitgliedern erscheint es ausreichend, selbst mit dem eigenen Glauben zurecht zu kommen. Wenn Gemeinden sich auf den Weg machen, werden sie merken, dass ein Schwerpunkt immer die anderen nach sich zieht. Missionarische Gehversuche beispielsweise provozieren spirituelle Vertiefung.
Eine Gemeinde sollte sich nicht vornehmen, ein paar Jahre ausschließlich der spirituellen Vertiefung zu widmen, und dann erst den Schritt zu wagen, missionarisch zu werden. Der Heilige Geist kann die Mischung eingeben, die die jeweilige Gemeinde braucht.
Frage: Sie haben den Gemeinden geraten, den Austausch untereinander zu suchen. Wie soll das funktionieren?
Reinelt: Wir gehen dabei von der Erfahrung aus, dass es in den Gemeinden spezielle Charismen gibt, die man anderswo nicht antreffen kann. Beispielsweise die Gabe, soziale Probleme zu erkennen, die vielen unter den Nägeln brennen, oder die Gabe, Konkretes nicht nur vordergründig abzuhandeln, sondern nach tieferen Beweggründen zu fragen. Nachbargemeinden könnten davon profitieren, wenn man sich Erfahrungen weitergibt, Experten zu bestimmten Themen weiterempfiehlt ... Mancherorts wird das Denken über die eigene Gemeindegrenze hinaus schon sehr intensiv gepflegt, zwischen Dresden-Neustadt und Dresden-Pieschen etwa gibt es schon ein gutes Miteinander, das ganz allmählich gewachsen ist.
Frage: Sie haben den Gemeinden in Ihrem Hirtenwort zu Ostern Hilfen durch "geistbegabte Männer und Frauen aus Gemeinden und Gemeinschaften" angeboten, die ihren Weg unterstützen sollen. Wer sind diese Männer und Frauen?
Reinelt: Um den kleinen Initiatorenkreis der Aktion "Gemeinden im Aufbruch" wächst gerade ein Kreis von Menschen aus unserer Diözese, die bereits geistliche Erfahrungen gemacht haben und die bereit sind, davon mitzuteilen. Da sind Frauen und Männer aus geistlichen Gemeinschaften, Ordensgemeinschaften, Caritas-Mitarbeiter, Mitarbeiter der Hospizbewegung, Religionslehrer, Verantwortliche der Akademiearbeit ... Wenn sich dieser Kreis gebildet hat, können wir den Gemeinden die Informationen weitergeben, und sie können sich dann geeignete Experten für das jeweils gefragte Thema einladen.
Frage: Haben Sie Ziele formuliert, die das Bistum durch diese Aktion innerhalb eines bestimmten Zeitabschnitts erreicht haben sollte?
Reinelt: Ganz bewusst wollten wir den Weg nicht mit Jahreszahlen begrenzen. Die Ziele formuliert jede Gemeinde für sich und zieht nach einer bestimmten Zeit Bilanz. Wenn sie dann sagen kann "Unsere Gemeinde ist richtig neu geworden. Gott hat das Heft in die Hand genommen!", dann ist genau das erreicht, was "Gemeinden im Aufbruch" erreichen will.
Frage: Wie alle anderen deutschen Diözesen auch liegt Dresden-Meißen personell seit einiger Zeit auf dem Abwärtstrend. Mit der Aktion "Gemeinden im Aufbruch" sind Aufrufe zu mehr Zusammenarbeit, mehr Konzentration auf Wesentliches und mehr Verantwortlichkeit der Laien verbunden. Sehen Sie darin auch einen Lösungsansatz für das Personalproblem?
Reinelt: Natürlich spielen solche Überlegungen auch eine Rolle, sie sind aber nicht neu. Schon vor einigen Jahren habe ich die Gemeinden beispielsweise gebeten, von sich aus die Kooperation mit anderen Gemeinden zu suchen. Auch den großen Gemeinden, die gewiss nicht akut von Auflösung bedroht sind, sage ich immer wieder, dass sie ihren Priester künftig mit Sicherheit nicht mehr für sich allein haben werden. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht.
Ich wünsche mir, dass Gemeinden die Erfahrung machen, dass sie vom Austausch mit anderen profitieren können. Aus einer Gemeinde ist mir zum Beispiel gesagt worden: "Es ist schöner und abwechslungsreicher geworden, seit wir von zwei Seelsorgern aus der Nachbarschaft betreut werden und der Austausch zwischen unseren Gemeinden zeigt, dass wir nicht allein gelassen werden."
Interview: Dorothee Wanzek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 17.05.2004