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Auf zwei Minuten

Weisheit der Religionen

Ein Beitrag von Pater Damian Meyer

Pater Damian

Das Wort des Neuen Testaments "Alles, was ihr von anderen erwartet, das tut auch ihnen" (Mt 7,12) - die Goldene Regel - findet sich in ähnlichen Formulierungen in den großen Weltreligionen, im Judentum, im Islam, im Hinduismus und Buddhismus. Darüber hinaus gibt es erstaunliche Parallelen zu Texten der Bergpredigt. In einem Teil des buddhistischen Pah-Kanons, der Theragatha, der den Mönchen der alten Schule zugeschrieben wird, heißt es: "Der Regen fällt vom Himmel auf Gerechte / und Ungerechte. / Urteile nicht böse über deine Mitmenschen. / Lass auch du deine Güte / und dein Mitgefühl auf alle regnen. / Du bist reich beschenkt worden, / also sollst du auch andere reich beschenken. / Im Grunde wollen alle Menschen verstanden / und angenommen werden. / Das ist alles, aber das ist sehr viel." In der Bergpredigt lesen wir: "Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte. Wenn ihr nämlich nur die liebt, die euch lieben, welchen Lohn könnt ihr dafür erwarten?" (Mt 5,44-46). Im Unterschied zum buddhistischen Text wird hier direkt Bezug genommen auf Gott und sein Denken und Handeln. Noch deutlicher ausgesprochen in Vers 48: "Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch eurer himmlischer Vater ist."

Die Bergpredigt Jesu warnt vor dem Richten und fordert zur Selbstkritik auf: ,,Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! ...Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?" (Mt 7,2-3). Auch hierzu gibt es einen verwandten buddhistischen Text aus der Theragatha: "Andere Menschen können wir schwer beurteilen, / sogar uns selber können wir schwer richtig bewerten. / Verbringen wir nicht zuviel Zeit auf dem Richterstuhl, / denn jedes Urteil ist vorläufig. / Nehmen wir in schwierigen Zeiten Zuflucht / zum Mitgefühl mit anderen, / dann werden auch sie mit uns fühlen. / Und begegnen wir den Mitmenschen in Ehrlichkeit und Wahrheit."

Es soll hier keineswegs die weit verbreitete These vertreten werden, alle Religionen seien gleich. Wir sollten uns als Christen aber nicht scheuen, über den Tellerrand zu schauen und die Weisheit und Erfahrungen der anderen Religionen zu entdecken und schätzen zu lernen. Vor vierzig Jahren hat das Zweite Vatikanische Konzil erklärt: ,,Die katholische Kirche lehnt nichts von dem ab, was in diesen Religionen wahr und heilig ist" (,,Nostra Aetate",2).

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 21 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 21.05.2004

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