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Der Stimmungsvollste seiner Art

Der Camposanto in Buttstädt

Chronos mit Flügeln, die älteste griechische Gottheit, der Gott der Zeit - im verwitterten und bemoosten Sandstein kaum noch zu erkennen, mahnt mit seiner Sense am Fuße eines Rokokosteines die Lebenden mitten auf dem Camposanto von Buttstädt eindringlich an die Vergänglichkeit allen Seins. Daneben weint sich eine "Trauernde Tugend" die Augen aus. Doch gerade hier - mitten in diesem Friedhof, hier scheint die Zeit still zu stehen, hier scheint die irdische Macht des Chronos außer Kraft gesetzt zu sein.

Denn wer das graue doppelte Flügeltor zum Gottesacker in Buttstädt (Kreis Sömmerda), einem beschaulichen Städtchen, nordöstlich von Weimar gelegen, öffnet, befindet sich plötzlich in einer anderen Welt. 88 Grabmale und 240 Grabsteinfragmente von der Renaissance bis zur Romanik geben dieser kleinstädtischen Form des Camposanto, der in diesem Erhaltungszustand ein einmaliges Kleinod der Begräbniskultur aus der Zeit vom 16. bis 19. Jahrhundert ist, seinen besonderen Wert und Reiz.

Über die Wiese verstreut, unter uralten Eichen, stehen vereinzelte bemooste Grabmale, jedes von anderer Form, als würde es stellvertretend für die Besonderheit des Verstorbenen stehen. Und bereits 1930 schrieb ein Kirchenbauwart Högg: "Soweit ich bis jetzt Thüringen kenne, ist der alte Friedhof ...der baukünstlerisch wertvollste und vom malerischen Standpunkt der stimmungsvollste seiner Art."

Denn mit der Schließung 1861 setzte der Verfall der Anlage ein, zugleich wurde aber der damalige Zustand quasi eingefroren und so für die Nachwelt in einer Art "Dornröschenschlaf" erhalten. Während in den meisten anderen Thüringer Friedhöfen die historischen Gräber über die Jahrzehnte von normierten Grabanlagen überwuchert und ersetzt wurden, blieben die Renaissance- und Barockgrabsteine in Buttstädt - bis auf den Zahn der Zeit - unangetastet.

Allseitig oder mehrseitig das Gräberfeld begrenzenden Arkadenhallen, außer halb der Ortschaften und weg von den Kirchhöfen, werden heute als "Camposanto" bezeichnet und entstanden im 16. Jahrhundert in Deutschland. Der Begriff "Camposanto" wurde allerdings erst im 19. Jahrhundert gebräuchlich, bis dahin hießen die Begräbnisstätten schlicht und einfach Gottesacker. Es war die Reformation, ein originär deutsches Ereignis, das die entscheidende Rolle bei der Verlegung der Friedhöfe aus der unmittelbaren Nähe der Kirche zu einheitlich gestalteten außerstädtischen Begräbnisanlagen spielte. Camposanti gab es - wegen Luther und dem Kernland der Reformation - deshalb besonders in Mitteldeutschland. Vor allen in Arnstadt (1537), Altenburg (1552), Eisfeld (1554), Eisleben (1538), Gera (1556), Halle (1594), Saalfeld (1553), Weida (1564), von diesen allen sind mit Ausnahme des hallensischen Stadtgottesackers und des Eislebener Kronenfriedhofs nur noch wenige Reste oder gar nichts mehr erhalten. Da nach protestantischer Lehre die Nachfahren für ihr Nachleben nicht mehr unbedingt auf die Fürbitte durch die Lebenden und die Nähe zum Altarraum angewiesen waren, überwogen im Bestattungswesen allmählich hygienische Forderungen. Martin Luther selbst hat sie in seiner Schrift "Ob man fur de sterben fliehen muge" dargelegt: "Darumb mein rath auch were / solchen exempeln nach / das begrebnüß hynauß fur die stat machen…Dann ein begrebnüß / sol ja bilich ein feiner stiller ort sein / darauff man mit andacht gehen und stehen kundte / den todt / das jüngste gericht und auferstehung zu betrachten un beten."

Die Schrift leitete die erste Welle der Friedhofsverlegungen in Deutschland ein und schuf die ersten "Camposanti". Durch die Trennung von Kirche und Friedhof veränderte sich auch die rechtliche Lage. Nicht mehr die Kirche, sondern die Stadt musste für Bau- und Instandhaltungskosten der Friedhöfe aufkommen. Mit Zahlungen der Bürger wurden diese ab da finanziert.

Durch die lutherische Lehre traten erstmals die Hinterbliebenen mit ihrer Trauer in den Hintergrund. Der Friedhof war nun weniger ein Ort der Toten und des Jenseits als des diesseitigen Gedächtnisses der Verstorbenen, damit ergab sich auch der Wunsch nach künstlerischer Gestaltung des Gemeindeortes Friedhof.

Die ältesten Grabsteine auf dem Buttstädter Camposanto mit seinen zweiseitigen überdachten und säulenbewehrten Arkadengängen stammen um 1600. Am 2. Juni 1861 wird "Adolphine Henriette Wilhelmine Adelheid Betz, Töchterlein des Bötchermeisters Betz" als letztes Glied der Gemeinde auf dem Friedhof begraben. Danach setzte der Verfall ein, der nur zwischen 1937 bis 1939 durch notdürftige Instandsetzungsarbeiten gestoppt wurde.

In einer Info-Schrift des Fördervereins "Historischer Friedhof Buttstädt e.V." kann man über die DDR-Zeit lesen: "Zu einer Renovation, der die Belange eines sinnvollen Denkmalschutzes berücksichtigt hätte, fehlte das Geld. Der Einsatz eines Freundeskreises innerhalb des Kulturbundes für den Friedhof scheiterte seiner Zeit an politischer Kurzsichtigkeit."

Dank des Freundeskreises und des Thüringer Landesamtes für Denkmalpflege und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz wurden in die Rettung des Camposanto seit 1991 700 000 Euro gesteckt. Jetzt soll eine Stiftung zum weiteren Erhalt des "einzigartigen Denkmals Camposanto", "des kulturgeschichtlichen Denkmals und Ortes der Trauer" gegründet werden. Dann wohl auch unter dem Motto: "VT CVLTV VT LVCTV" - "Zur Verehrung sowohl als zur Trauer"- wie eine Inschrift in einem Barockgrabstein neben der Eingangstür die Besucher seit 250 Jahren in Latein mahnt.

Carsten Kießwetter

Das Arbeitsheft "Der Alte Friedhof von Buttstädt: Ein Thüringer Camposanto" (Arbeitsheft des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege, Neue Folge 15) ist für 20 Euro - einschließlich einer CD-Rom - zu beziehen beim Landesamt für Denkmalpflege, Petersberg Haus 12, 99084 Erfurt oder über E-Mail: Post@tld.thueringen.de Informationen unter www.thueringen.de/denkmalpflege/

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 21 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 21.05.2004

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