Der nahe Gott und der ferne Gott
Ein Beitrag von Pater Damian Meyer
Vor Jahren hörte ich einen charismatischen Erweckungsprediger, wie er über seine "Erfahrungen" mit Gott berichtete. Es waren keine hochtheologischen Darlegungen, sondern sehr konkrete und handfeste Erlebnisse im Umgang mit Gott, die er den Hörern vermitteln wollte. In allen Wechselfällen des Lebens, im Unglück und im Glück, in Gesundheit und Krankheit, in Erfolg und Misserfolg war er sich der Nähe Gottes sicher. Das Leben war einfach voller Wunder. Und er schien auch immer genau zu wissen, was der Wille Gottes für ihn war: "Gott hat mir heute Morgen gesagt: Geh zu diesen Leuten und predige ihnen!" Für jeden Tag empfing er ähnliche Weisungen direkt von Gott.
Ich beneidete ihn damals fast um sein Verhältnis zu Gott. Ich kann und will nicht beurteilen, ob der Prediger wirklich von seinen Worten überzeugt war. Ich nehme es an. Aber dann ließ mich die Frage nicht los: Hat er denn gar keine Glaubensschwierigkeiten, keine Zweifel? Wie kann man sich eines Gottes, der absolutes Geheimnis ist, so sicher sein? Hat er sich etwa einen Gott nach seinem eigenen Geschmack und Nöten zurechtgelegt? Ich stieß auf einen Text beim Propheten Jeremia, der sich gegen die falschen Propheten richtet: "Sie verkünden Visionen, die aus dem eigenen Herzen stammen, nicht aus dem Mund des Herrn" (Jer 23,16). Und dann heißt es weiter: "Bin ich denn ein Gott aus der Nähe - Spruch des Herrn - und nicht vielmehr ein Gott aus der Ferne?"
Die Formel, Gebet sei "Gespräch" mit Gott, mag theologisch richtig sein, aber sie beschreibt nicht, was wir empirisch erleben: Gott ist nicht einfach da wie ein menschlicher Gesprächspartner. Dem verborgenen Gott können wir in Anbetung und Klage nur begegnen im Glauben. Gebet als Ernstfall des Glaubens, als sprechender Glaube, ist immer die Variation des Grundbekenntnisses "Ich glaube an dich
Ich finde den folgenden Liedtext von Armin Juhre sehr sympathisch, weil er unserer Erfahrung entspricht: "Sing nicht zu schnell dein Glaubenslied, / sing nicht so laut, so grell. / Der Glaube trägt ein schweres Kleid / aus Gnadenglück und Sterbeleid. / Vielleicht kommt er dir nahe. / Vielleicht bleibt er dir fern. // Sing nicht so schnell dein Hoffnungslied, / sing nicht so laut, so grell. / Die Hoffnung kann viel weiter sehn, / als heute deine Füße gehen. / Vielleicht kommt sie dir nahe./ Vielleicht bleibt sie dir fern."
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 11.06.2004