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Bistum Görlitz

Christliche Werte in die Gesellschaft tragen

10 Jahre Bistum Görlitz: Interview mit Bischof Müller

Bischof Müller

Görlitz -Das Jahr 1994 war eine Zäsur in der ostdeutschen Kirchengeschichte: An die Stelle der nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen provisorischen Kirchenstrukturen traten richtige Bistümer. Die Bischöflichen Ämter Erfurt und Magdeburg wurden als Bistümer gegründet, die Apostolische Administratur Görlitz zum Bistum erhoben. Das alles ging nicht ohne gewisse innerkirchliche Widerstände über die Bühne. Im Gespräch mit dem Tag des Herrn erinnert sich der Görlitzer Bischof Rudolf Müller und wagt einen Blick in die Zukunft.

Herr Bischof, die Erhebung der Apostolischen Administratur Görlitz zum Bistum war seinerzeit nicht unumstritten. Die Katholikenzahlen sind zu gering, der Verwaltungsaufwand ist zu hoch. So lauteten nur einige Bedenken. Ist dieser Schritt der Bistumserhebung auch aus heutiger Sicht zu rechtfertigen?
Ich denke, ja! Durch die politische Situation nach dem Zweiten Weltkrieg gab es kaum einen Jurisdiktionsbezirk in der ehemaligen DDR, der so auf die Erhebung zu einem Bistum gerichtet war wie die Apostolische Administratur Görlitz. Der Wille, eigenständiges Bistum zu werden, bestand bereits 1972. Wir wären es damals auch geworden, wenn wir nicht Rücksicht auf die damalige kirchenpolitische Situation in der DDR hätten nehmen mussten. Ein "Bistum Görlitz" wäre "Wasser auf die Mühlen" der SED-Politik gewesen, die selbst um internationale Anerkennung rang und dann gewissermaßen ein weiteres eigenständiges DDR-Bistum hätte "vorweisen" können.
Was waren die wichtigsten Gründe für die Bistumserhebung 1994?
Der ganze Prozess, um den sich besonders Altbischof Bernhard Huhn verdient gemacht hat, war natürlich schwierig. Es gab viele Einwände: Ist das bei unserer kleinen Katholikenzahl möglich, sind wir überhaupt lebensfähig? Diese Einwände scheinen auch heute noch auf dem ersten Blick berechtigt. Aber auch die Kritiker haben gesehen: "Euer Dienst ist etwas ganz Besonderes in der katholischen Landschaft Deutschlands. Ihr seid der deutsche Rest der alten Erzdiözese Breslau." Und wenn wir als Ortskirche auf unsere Fundamente schauen, dann ist das nicht ohne Bedeutung. Mit einem Wort: Die Apostolische Administratur Görlitz und später das Bistum Görlitz bot vielen vertriebenen Katholiken eine Heimat, war und ist gewissermaßen das Bindeglied zur Vergangenheit. Ein zweiter wichtiger Grund für die Bistumserhebung war die geschlossene Pastoral in der Diözese. Die Überschaubarkeit des Bistums mit seinen drei Zentren Görlitz, Cottbus und Neuzelle schafft eine familiäre Atmosphäre unter den Priestern und Gläubigen. Man kennt sich, man trifft sich bei großen Veranstaltungen wie Wallfahrten oder Tagungen und weiß sich somit im Glauben verbunden.
Die Diözese Görlitz hatte von Anfang an eine wichtige Brückenfunktion nach Polen. Auf beiden Seiten hat man sich kirchlicherseits nach dem Krieg vor allem um Aussöhnung bemüht. Ist das aus heutiger Sicht gelungen?
Die Nachbarschaft zu Polen war zunächst ein weiterer wichtiger Grund, der für die Erhebung der Apostolischen Administratur Görlitz zum Bistum sprach. Die deutsch-polnische Freundschaft auf kirchlicher Ebene entwickelte sich langsam, dafür aber um so intensiver. Dabei waren sicher nicht nur sprachliche Hindernisse zu überwinden. Inzwischen sind gemeinsame Veranstaltungen zwischen Deutschen und Polen im Grenzbereich selbstverständlich. Beispiele dafür sind grenzüberschreitende Fronleichnamsfeiern in Görlitz oder Guben, aber auch die vielen kleinen Begegnungen zwischen deutschen und polnischen Gemeinden. Es gibt Kontakte zu den Priesterseminaren, Hochschulen, Jugend- und Sozialverbänden. Gerade hier sehen wir unsere besondere Aufgabe, die andere Diözesen so nicht leisten können. Darüber hinaus gibt es regelmäßige Kontakte zwischen deutschen und polnischen Nachbarbischöfen. Ich denke, das Leben der Katholiken an der Grenze ist ein gutes Beispiel dafür, dass Versöhnung im Glauben gelingen kann und dass aus den früheren Feinden Freunde werden können.
Wäre in Zukunft auch ein deutsch-polnisches Bistum denkbar?
Diese Frage stellt sich aus politischen Gründen nicht. Aufgrund der Vergangenheit sollten wir alles verhindern, was auch nur in den Verdacht geraten könnte, den Status quo anzufragen und das Rad der Geschichte zurückzudrehen.
Zahlen sind nicht alles, aber sicher wird sich auch das Bistum Görlitz wie andere Bistümer an den Zahlen messen lassen müssen. Wie missionarisch muss die Kirche der Zukunft sein?
Das ist und bleibt eine der dringendsten Aufgabe der Kirche: Missionarisch zu sein. Nichts hat uns der Herr eindringlicher aufgetragen als in die Welt zu gehen und seine Frohe Botschaft zu verkünden. Die Frage ist, wie schaffen wir es unter den heutigen Bedingungen einer pluralistischen Gesellschaft das Evangelium so zu verkünden, dass es auch auf guten Boden fällt. Ich nenne zunächst das Glaubenszeugnis jedes Einzelnen an dem Platz, wo er steht. Es gibt sicher eine Menge Gelegenheiten, mit Nachbarn, Freunden, Arbeitskollegen oder Sportskameraden über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Wir Katholiken müssen unseren Glauben nicht verstecken, sondern können ihn selbstbewusst zeigen. Die Gemeinden, denen es oft schwer fällt, Außenstehende an sich heranzulassen, sollten besonders auf Fremde achten, die die Gottesdienste oder andere Veranstaltungen besuchen. Im gesellschaftlichen Engagement der Christen sehe ich ein großes Potenzial, christliche Werte einzubringen und auf die Botschaft des Evangeliums aufmerksam zu machen.

Interview: Andreas Schuppert

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 27 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 29.06.2004

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