Sozialstaat im Umbruch
Caritas-Kongress in Weimar
Weimar -"Soziale Dienste in der Klemme" -Die Thüringer Landeszeitung (TLZ) brachte es in ihrer Ausgabe vom 26. Juni auf den Punkt. Die zunehmende Finanznot von Land und Kommunen führt immer mehr zu schmerzlichen Einschränkungen der sozialen Leistungen. Wohlfahrtsverbände wie die Caritas könnten die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben nicht mehr schließen, wie Diözesancaritasdirektor, Domkapitular Bruno Heller gegenüber der TLZ sagte. Veränderungen in Struktur und im Umfang der Angebote und Caritasdienste schloss Heller daher nicht aus. Mit diesem Hintergrund trafen sich zirka 280 Interessierte in Weimar zum ersten Caritas-Kongress in Thüringen, der unter dem Motto "Sozialstaat im Umbruch" stand.
Soziale Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung
Matthias Wierlacher, der Vorstandsvorsitzende der Thüringer Aufbaubank, beleuchtete das Thema aus wirtschaftlicher Sicht. Dabei gab er seiner Überzeugung Ausdruck, dass die soziale Arbeit eng an wirtschaftliche Entwicklungen gekoppelt sei und bleibe. Allerdings spreche die Gegenwart eine andere Sprache, die ökonomische Basis des Sozialen gehe von Jahr zu Jahr immer mehr verloren. Wörtlich betonte Wierlacher: "Läuft es weiter wie bisher, haben wir auch zukünftig jedes Jahr etwas weniger Geld, um soziale Leistungen zu finanzieren."
Um dies zu untermauern, verwies der Referent auf den Bericht der Liga der freien Wohlfahrtspflege in Thüringen. Demnach seinen 2003 108 Projekte eingestellt worden, 122 Projekte seien aktuell gefährdet. "Die Entwicklung verläuft gegenwärtig paradox", betonte Wierlacher weiter. "Immer mehr Menschen benötigen soziale Betreuung oder soziale Hilfe, aber weil immer weniger Geld da ist, kann immer weniger Hilfe und Betreuung geleistet werden.
Wierlacher warb für eine Entkoppelung der Finanzierung des Sozialstaates von den Arbeitskosten. "Die Lohnnebenkosten müssen kräftig sinken, um Arbeit in Deutschland wieder wettbewerbsfähiger zu machen", sagte der Banker. Nur so könne der erste Arbeitsmarkt vor Brüchigkeit bewahrt werden, den Wierlacher auch weiterhin als tragende Säule des Sozialstaates benannte.
Mit Blick auf die Finanzierung der Sozialarbeit meinte Wierlacher, dass die Fremdfinanzierung -also durch Kreditinstitute -zunehmend die Zuschussfinanzierung ablöse. Einladend an die Teilnehmer formulierte der Referent: "Wir können gemeinsam nach Wegen suchen, sicherzustellen, dass die Investitionsvorhaben leistungsfähiger Träger von den Banken als kreditwürdig eingestuft werden."
Wohin diese Entwicklung gehen wird, konnte der Kongress allerdings nicht beantworten. Eine allzu "düstere" Stimmung sollte jedoch auch nicht prägend sein. Der Tag in der Klassikerstadt war vielmehr ein Innehalten, eine Station in Richtung Zukunft des Sozialen. So wurde beispielsweise gleich zu Beginn in einem Anspiel die Würde des Menschen in besonderer Weise betont. Jugendliche des Edith- Stein-Gymnasiums Erfurt und Seniorinnen des Hugo-Aufderbeck- Seminars Erfurt schlüpften in die Rolle der Klienten, der Hilfe Suchenden ...Als schließlich im Tanz die Lumpen langsam fielen, zeigte sich, dass sich hinter jeder Person ein menschliches Wesen in Schönheit und Würde verbirgt.
Den "Sozialstaat im Umbruch" aus Sicht der Caritas fasste Mario Junglas, der Leiter der Hauptvertretung des Deutschen Caritasverbandes in Berlin, zusammen. In seinem Referat, welches dem von Matthias Wierlacher vorausging, betont Junglas: "Es mag paradox klingen, aber gerade die Krise ist die Zeit der Caritas. Nicht für die Schönwetterlagen des Lebens, sondern für die kritischen Momente, für die schwierigen Situationen gibt es die Caritas. Auch und gerade in der Krise sind wir zu weiterführenden Lösungen in der Lage."
Bekämpfung der Armut bleibt Thema
Junglas warb dafür, in die aktuellen politischen Diskussionen nicht einseitig als Fordernder einzutreten, vielmehr sollten immer auch Überlegungen zum Lösen der Probleme mitgebracht werden. Junglas sah unter anderem in der Förderung und in der Unterstützung von Eigenverantwortung und Selbsthilfe ein Feld zukünftigen karitativen Wirkens. Allerdings bliebe die externe Hilfe unverzichtbar, genauso wie das Eintreten in die umfassende Diskussion "der sozialen Gerechtigkeit, der Güterverteilung, des Verhältnisses von wirtschaftlicher und sozialer Logik". "Es müssen strukturelle Voraussetzungen der Armutsbekämpfung geschaffen und Strukturen der Armut beseitigt werden", forderte Junglas.
Nach einer Pause waren die Teilnehmer zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, an der neben den beiden Referenten, Bischof Joachim Wanke, Diözesancaritasdirektor Bruno Heller und der scheidende Fraktionsvorsitzende der CDU im Erfurter Landtag, Frank-Michael Pietzsch teilnahmen. Die Moderation übernahm der Chefredakteur der TLZ, Hans Hoffmeister. Bischof Joachim Wanke wies dabei auf die Herausforderung von Kirche und Caritas hin, mitzuhelfen die Menschen zu stabilisieren. Bereits am Vormittag hatte der Bischof in seiner Predigt zum Eröffnungsgottesdienst darauf hingewiesen, dass die Arbeit der Caritas großes Vertrauen genießt. Menschen fühlen, dass sie nicht alleine gelassen werden. Und Hilfe kann vielfältig geleistet werden, aber oft sei es gerade die schnelle, vorläufige Hilfe die bereits hilft, Menschen den Lebensmut zurückzugeben. In diesem Sinne benannte der Bischof Caritasarbeit als eine Arbeit am Reich Gottes. In der Podiumsdiskussion trat er zudem dafür ein, die Verbindung zwischen den Gemeinden und der Caritas nicht abreißen zu lassen. Vielmehr komme es darauf an, die Caritasarbeit in den Kirchgemeinden präsent zu halten, dem Ehrenamt käme dabei eine große Rolle zu. Wanke regte weiter an, sich vor Ort in vielleicht kleinen "Sozialworten" eine Übersicht über Nöte und Probleme des näheren Umfeldes zu verschaffen.
Soziale Kompetenz: Wichtig wie solides Wissen
Diözesancaritasdirektor Heller kritisierte in der Diskussion unter anderem die Bürokratie bei der Abrechnung in der Pflege, die einen großen Teil der Arbeit einnehme. Die Pflegeversicherung selbst bezeichnete er als etwas Kostbares, das man nicht kaputtreden dürfe. Heller wies weiter auf die Verlässlichkeit der karitativen Arbeit in Thüringen hin. Zwar habe man kleine Brötchen backen müssen, aber die Caritas sei heute überall präsent.
Angesprochen wurde in der Diskussion auch, dass gerade junge Menschen heute oft kein oder nur ein mangelhaftes Wissen im Sozialen hätten. Die soziale Kompetenz sei genauso wichtig wie ein solides Wissen in Mathematik oder in Physik. Besorgnis äußerten die Teilnehmer mit Blick auf die Erhaltung des sozialen Friedens. Es bestehe durchaus die Gefahr, dass "Depression in Aggression umschlage". Bruno Heller betonte: "Wenn es den Schwachen gut geht, dann geht es auch den Starken gut, aber ob es den Starken auch dann noch gut geht, wenn es den Schwachen schlecht geht, wage ich zu bezweifeln."
Holger Jakobi
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 01.07.2004