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Aus der Region

"Schöne neue Tätigkeitsgesellschaft"

Soziale Themen beim Katholikentag

Werner Schmiedecke: Die soziale Schieflage in Deutschland war ein Thema in Ulm.

Werner Schmiedecke (Dresden) vom Netzwerk "Christen streiten für gerechtere Verteilung von Erwerbsarbeit" hat den Katholikentag in Ulm besucht. Im folgenden Beitrag schildert er, welche Rolle bei dieser Großveranstaltung soziale Themen spielten:

Unübersehbar wurde die soziale Schieflage in Deutschland in den Themen des Katholikentages sichtbar, beispielsweise schon im Titel des Forums "Luxusgut Arbeit -Luxusgut Ausbildung?" Albert Wild von der Caritas Bruchsal wies auf den schmerzhaften Spagat der Caritas zwischen Anwaltschaft für die Schwachen und der Arbeitgeberfunktion für Hunderttausende hin: Inzwischen gibt es auch dort neben unbefristeten "guten" Arbeitsverhältnissen sehr viele so genannte "prekär Beschäftigte": Der Lohn bei Vollzeit ist dürftig, für Familien kaum existenzsichernd, oft ist das Arbeitsverhältnis befristet. Die Agenda 2010 charakterisierte Albert Wild, wie auch der Jesuit und Sozialwissenschaftler Friedhelm Hengsbach, als schwerwiegenden sozialen Einschnitt, nicht als Reform. "Müssten nicht die Kirchen dagegen aufstehen?", rief er unter spontanem Beifall -ein Zeichen, dass die Gläubigen (immer noch) viel von ihrer Kirche erwarten.

Aber wie ist das mit der katholischen Soziallehre? "Totgelobt -wirkungslos -neu gedacht?" war ein Podium dazu überschrieben. Andreas Lob- Hüdepohl stellte der Diskussion einen sprachlich modern gefassten Propheten Amos voran, der in flammenden Worten soziale Ungerechtigkeiten geißelte. Lob-Hüdepohl: Wir hätten gern diese klare Sprache in der Kirche, in ihrer Soziallehre, aber entscheidend ist, wer sich zum Anwalt der Benachteiligten macht ... Herausragend wichtig für den katholischen Sozialwissenschaftler wären jedenfalls Chancen- und Verteilungsgerechtigkeit -und wahre Subsidiarität durch Befähigung zur Eigenverantwortung.

Nicht nur an die Kirche gibt es Erwartungen, auch an die Gewerkschaften -noch! Im Forum "Quo vadis Gewerkschaften?" sah Sozialbischof Reinhard Marx, Trier, die Gewerkschaften als weiterhin notwendig. Auch der Unternehmer Rainer Dulger wollte als soliden Verhandlungspartner lieber eine intakte statt einer zerschlagenen IG Metall. Sabine Leidig, attac- Bundesbüro, warf den Gewerkschaften den "Sündenfall der Standortsicherung" vor -der bedeute mit dem Konkurrenzkampf von Arbeitnehmern gegen andere Arbeitnehmer genau das Gegenteil der eigentlichen Aufgabe. Das sah auch Bischof Marx so, der dringend eine Internationalisierung der Gewerkschaften gegen die Herausforderungen der Globalisierung forderte. In der Diskussion wurde IG Metall-Chef Jürgen Peters gefragt, ob denn Streiks heute noch zeitgemäß seien? Peters: "Der Streik ist das Stärkste, das der Schwache hat -sonst bleibt nur kollektiver Bittgesang."

Im Rahmen der Option für die Schwachen sah Reinhard Marx übrigens mögliche Schulterschlüsse zwischen Gewerkschaften und Kirche, für letztere sei aber die Klientel deutlich weiter gespannt, umfasse eben Benachteiligte aller Gruppen. Solche weiter gefasste Sicht verdeutlichte auch Joachim Zimmermann von der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB) im Vortrag "Schöne neue Tätigkeitsgesellschaft -welche Arbeit haben wir in Zukunft?". Durchaus mit Leitbildfunktion könnte die Gesellschaft der Zukunft durch gleichwertige Anerkennung von Familienarbeit und gemeinnütziger Arbeit neben der traditionellen Erwerbsarbeit gekennzeichnet sein, zwingend aber mit gerecht umverteilter Erwerbsarbeit und existenzsichernder Vergütung der anderen Arbeiten -auch für die Rente!

In dieser Thematik haben die Gewerkschaften Nachholbedarf, so Ingrid Sehrbrock, stellvertretende DGB-Vorsitzende. Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) wollte sich mit der Tätigkeitsgesellschaft nicht anfreunden, er setzt auf Wirtschaftswachstum und weitere Flexibilisierung, wollte aber wohlweislich keine Prognose abgeben, ob das die Arbeitslosigkeit real senken kann.

Leider kam die an sich notwendige Leitbilddiskussion nicht zustande, aber wenigstens hatte Georg Hupfauer, Bundesvorsitzender der KAB, angesichts der Arbeitszeitverlängerungsoffensive der Arbeitgeber ein griffiges Zielbild parat: Seine Vision wäre die 60-Stunden- Woche -je 30 Stunden für ihn und sein Frau! Da das Papier der Bischöfe vom Dezember 2003 laut Bischof Marx ausdrücklich noch kein neues Sozialwort darstellt, sind damit noch alle Türen offen, bei der allfälligen Aktualisierung solche Leitbilder aufzunehmen.

Das wäre zugleich eine mögliche Realisation der Fürbitten aus dem ökumenischen Gottesdienst "Arbeit ist das halbe Leben" mit Betriebsseelsorger Paul Schobel, Stuttgart: "... dass wir alle erwerbsfähigen Menschen über Arbeit und Einkommen an der Gesellschaft beteiligen, ... dass unsere Kirchen keine falschen Rücksichten nehmen, sondern mutig für Arbeitslose, Arme und Benachteiligte Partei ergreifen ..."

Freilich müssen wir -die Kirchen - dabei selber mittun, wenn die Fürbitten nicht bloße Worthülsen sein sollen.

Den Vortrag von Joachim Zimmermann finden Sie im Internet hier.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 28 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 08.07.2004

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