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Gott als ein Stück von mir und dir?

Tagung zum Thema "Wovon lebt der Mensch?" brachte "Psychotherapie und Religion ins Gespräch"

Erfurt -Kann man sagen: Bei Gott handelt es sich um ein Stück von mir? Sagt das religiöse Verständnis vom dreifaltigen Gott zugleich etwas Wesentliches darüber aus, wie Mensch-sein gelingen kann? Der Mannheimer Priester, Arzt und Psychotherapeut Lothar Katz kommt zu dem Schluss: Gott hat offenbar sein trinitarisches Wesen in die Schöpfung hineingelegt. Diese, seine Sicht von Gott und Welt stellte Katz bei einem Symposium zum Thema "Wovon lebt der Mensch? Psychotherapie und Religion im Gespräch" vor, das im Juni von der Heimvolkshochschule St. Ursula in Erfurt veranstaltet wurde. Er wolle damit "eine Zusatzbrille, eine Möglichkeit anbieten", die Wirklichkeit klarer zu sehen, sagte der Seelsorger.

Der Mensch braucht die Beziehung zu anderen

Um sich als Person entfalten zu können, braucht jeder die Beziehung zu anderen Menschen. "Ich kann nur immer mehr ich selbst werden, wenn ich mich in den anderen einfühle, aber auch mich selbst sehe und gleichzeitig sozusagen von außen auf uns beide schaue und wahrnehme, was uns Leben schenkt", sagt Katz, der in Mannheim das Institut für Psychotherapie und Religion leitet. Dies aber sei ein Dreier-Verhältnis: Ich, du und der Blick von außen auf beide.

Wenn es darum geht, bei einer psychotherapeutischen Behandlung einem Menschen in seinen Problemen zu helfen, "muss ich mich hineinziehen lassen in die Situation des Klienten, muss bereit sein, mich in die Übertragung zu begeben, wie es in der Fachsprache heißt", so Katz. Dabei kann der Klient unterbewusst dem Therapeuten aus einem früheren Beziehungskonflikt eine Rolle zuweisen (Übertragung). Indem eine traumatische Erfahrung so lebendig wird, besteht die Chance, das Problem aufzuarbeiten und zu bewältigen. Der Therapeut hat nicht die Aufgabe, den Klienten "mit Röntgenaugen zu beobachten", sondern in den Blick zu nehmen: "Wie behandeln wir uns gegenseitig, Klient und Therapeut?"

Als Menschen, so Katz, "versuchen wir, das Unerträgliche in uns im anderen unterzubringen, in der Hoffnung, der andere könnte sich damit identifizieren, es durcharbeiten und entgiften." Dies habe die moderne Psychologie sehr genau herausgearbeitet. "Wer nicht nachschaut, was der andere in ihm abgelegt hat und dies einzuordnen bestrebt ist, kann sich und dem anderen nicht wirklich helfen", so Katz. So lange es dazu nicht kommt, bewegen wir uns in einer abhängigen Zweier-Situation wie etwa der frühen Beziehung zwischen Mutter und Kind, sagt der Therapeut. Indem der Vater dafür sorgt, dass es zur psychischen Trennung zwischen Mutter und Kind kommt, kann sich die Person erst entfalten und zu Selbststand finden.

Selbststand und Bezogenheit

Eine Beziehung zwischen zwei Personen kann nur umfassend gelingen und eine neue Dimension hervorbringen, von der es sich als Mensch leben läst, wenn beide Partner Selbststand (und damit auch den Blick von außen auf das Miteinander) und Bezogenheit zu einander haben.

Und hier schließt sich für Katz der Kreis zum religiösen Verständnis vom dreifaltigen Gott: Der Vater und der Sohn sind zu tiefst geeint und getrennt im Heiligen Geist. "Beschreibt die Psychoanalyse heute vielleicht genau dieses Modell, ohne es zu wissen?", so der Psychotherapeut. "Ist das Beziehungsmodell vielleicht die Weltformel schlechthin, die aber nur existentiell lebbar ist?" Die Menschwerdung Jesu --und auch hier vollzieht sich ein Dreier-Verhältnis -bedeutet für Katz: "Gott lässt sich in seinem Sohn restlos in die Wirklichkeit der Welt ein. Dies geht über das Kreuz. Alles Unbewältigte der Menschen wird von ihm durchgearbeitet und entgiftet. Gott leidet es aus. Die Veränderung passiert im Therapeuten, nicht im Klienten. Und so eröffnet sich eine neue Dimension. Gottes Geist kommt in Welt."

"Hat Gott also sein eigenes Wesen in seine Schöfpung hineingeschrieben, so hat das Folgen für das Leben", sagt Katz: "Ich muss Gott nicht erst wie auch immer in diese Welt hineinbringen. Er ist längst da. Nach dem, was in der Psychologie heute fast mikroskopisch beschrieben wird, nämlich wie wir uns gegenseitig behandeln und das es der Dreier-Dimension bedarf, danach sind wir längst geeint mit Gott. Und insofern ist Gott ein Stück von mir, ein Stück von dir, von uns."

Auch für Psychotherapeutin Christine Lechner, ebenfalls Referentin bei dem Erfurter Symposium, ist es Aufgabe von Psychotherapie und Seelsorge, den Bewusstwerdungsprozess im Menschen zu fördern und ihm zu helfen, beziehungsfähig zu sein. "Sich-seiner-selbst-bewusst und beziehungsfähig kann der Mensch sich verantwortungsvoll den Aufgaben dieser Welt zuwenden", sagt die Psychotherapeutin. Frau Lechner regt spirituelle Zentren an, in denen Seelsorger / Religionspädagogen und Psychotherapeuten zusammenarbeiten. Für den Berliner Psychologen Michael Utsch, der wie Frau Lechner über Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Seelsorge und Psychotherapie referierte, wirkt sich christliche Spiritualität "wegen ihrer programmatischen ,Umgestaltung des inneren Menschen' (Römer 12) therapeutisch aus, wobei sie fragmentarisch bleibt und im größeren Zusammenhang eines zuküftigen Heils steht". Seelsorge, so Utsch, "ist in ihren grundlegenden Zielen therapeutisch auf Gottesbegegnung, Befreiung, Orientierung, Gemeinschaft angelegt".

Psychotherapie und Seelsorge wollen fördern

Über die teils großen Probleme von Menschen in psychischen Krisen und ihre Angehörigen sprach Diplom-Sozialarbeiterin Irene Norberger aus Bad Klosterlausnitz. So werde noch immer den Angehörigen Schuld für die Erkrankung der Patienten zugewiesen, obwohl zum Entstehen etwa von Psychosen vielfältige Faktoren beitragen. Viel Sachinformation und ein partnerschaftliches Miteinander von Ärzten und Angehörigen seien dringend nötig.

Der Würzburger Theologe, Psychologe und Psychotherapeut Wunibald Müller ging unter der Überschrift "Was uns wirklich nährt?" der Frage einer geerdeten Spiritualität nach. Für Müller, der seit 1991 das Recollectio- Haus Münsterschwarzach leitet, ist eine gesunde Spiritualität zunächst einmal "an körperlicher Gesundheit interessiert" und wird zu einer positiven Einstellung zum eigenen Leib beitragen. Insofern habe sie zum Beispiel etwas mit der Einstellung zu Ernährung, Sinnlichkeit, Sexualität zu tun. Zudem werde eine geerdete Spiritualität aber auch im Dienst psychischer und seelischer Bedürfnisse stehen und deshalb dazu beitragen, Fantasie, Meditation, Spiel und zweckfreies Tun zu fördern. "Eine gute Spiritualität macht Mut, sich auseinanderzusetzten, Schwierigkeiten anzugehen, Durststrecken auszuhalten", so Müller. Und "sie wird daran gemessen, ob sie dazu beiträgt, Menschen zur Liebe und zur tiefen, innigen Beziehung zu befähigen". "Wer nie echte Liebe erlebt hat, wer nie mit echten Gefühlen geliebt hat und geliebt wurde, wird nicht überzeugend leben." Und: "Gottesliebe ohne Menschenliebe geht nicht."

Eine geerdete Spiritualität anstreben

So gelte es körperliche, seelische und geistige Bedürfnisse ernst zu nehmen und sich "auf das Gefühl des Eingewobenseins in etwas, was über mich hinaus weist", einzulassen. Um schon jetzt eine Ahnung vom Ewigen zu bekommen, jetzt schon mit dem Ewigen verbunden zu sein, muss ich zu meinem Grund gehen, so Müller.

Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 30 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 22.07.2004

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