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Spezial

Kontrastprogramm für Mitteldeutschland

Beobachtungen im Kloster Helfta

Fromme Insel im säkularen Ostdeutschland: Die Schwestern vom Kloster Helfta beim Auszug aus der Kirche.

Eisleben -Vor den Toren der Stadt Eisleben entstand 1258 das Zisterzienserinnenkloster St. Marien zu Helfta. Es wurde bald ein Zentrum mittelalterlicher Mystik. Nach Verwüstung im Bauernkrieg und Säkularisierung wurde es später preußische Staatsdomäne und zuletzt "Volkseigenes Gut". Seit 1999 füllt wieder ein Konvent von Zisterzienserinnen das alte Areal mit geistlichem Leben. Sara Nay aus Halle schildert ihre Eindrücke von einem Besuch in Helfta:

Sieben Uhr am Morgen, eine graue Wolkendecke liegt über den Dächern von Helfta. Ich gehe auf die schlichten Umrisse der Klosterkirche St. Marien zu. Durch die Dämmerung schimmern mir die matt erleuchteten schmalen Fenster der wiedererrichten Kirche entgegen. An der Kirchentür eine weiß verschleierte Gestalt: eine Novizin. Ich fühle mich um 850 Jahre zurückversetzt. Gertrud die Große von Helfta als Novizin. 1258 wurden das Kloster und die Kirche von frommen Frauen gegründet. Gertrud kam wenige Jahre später als Waisenkind nach Helfta. Sie wurde eine große Mystikerin.

Ich bin überwältigt -oder doch im Hochmittelalter?

Ich nehme im Kirchengestühl Platz. Schläfrigkeit überkommt mich. Hellwach bin ich jedoch, als ich mehr durch einen Luftzug als durch einen hörbaren Laut wahrnehme, dass sich hinter mir die Schar der Nonnen mit dem Priester in Bewegung gesetzt hat, nun an mir vorüber zum Altarraum schreitet und die Plätze im Chorgestühl einnimmt. Ich bin überwältigt -oder doch im Hochmittelalter angekommen?

Die Nonnen wirken wie aus der Versteinerung erwachte und von ihren Podesten herabgestiegene Frauenfiguren aus romanischen Domen. Die mittelalterliche Witwenkleidung liegt tatsächlich der Tracht der Zisterzienserinnen zu Grunde. Der so genannte offizielle oder große Schleier, der das Gesicht eng umschließt und kein Härchen hervorlugen lässt, und der Gebetsmantel mit weiten geschlitzten Ärmeln sind die Blickfänge. Ich frage mich, wie man in dieser Bekleidung arbeiten kann und wer das lange weiße Gewand wohl waschen muss.

Beides beantwortet mir nach dem Ende des Gottesdienstes eine junge Nonne -Gratia. Sie hat sich inzwischen umgekleidet und trägt nun einen schwarzen Schleier, der den Blick auf ihr dichtes gescheiteltes Haar freilässt. Über einem weißen Gewand aus grobem Stoff trägt sie einen schwarzen Überwurf, der an eine Schürze erinnert. Beides wird in der Taille vom Zingulum, einer Art Kordel, zusammengehalten. Das ist ihre Arbeitskleidung. Gratia lächelt über meine Frage nach der Wäsche. Die wird von den Nonnen selbst erledigt. Das traditionelle Habit tragen sie nur noch in den Morgenstunden von der Laudes, dem Morgenlob um 5.30 Uhr, bis nach dem Gottesdienst, um 7.30 Uhr. Danach beginnt der Arbeitstag in praktischer Kleidung.

Helfta als mittelalterlich erscheinende fromme Insel mitten im säkularen Ostdeutschland? Der Gegensatz könnte kaum größer sein. Gerade dies bezweckte die Neugründung des Klosters im Jahr 1999. Die Nonnen wollen ein Kontrastprogramm zu ihrer Umgebung sein, zum Nachdenken anregen. Dabei geht es ihnen nicht zuerst um Mission. Schwester Gratia erzählt vom Polier auf der Baustelle des Konventsgebäudes, in dem die Nonnen wohnen und das sich gleich an die Kirche anschließt. Anfangs habe er verständnislos geknurrt: So ein Aufwand für eine Handvoll Frauenzimmer. Doch dann wuchs seine Achtung vor dem, was unter der Schirmherrschaft der Nonnen von Helfta auf den 14 Hektar des Klostergrundes gewachsen ist: vom Bildungs- und Exerzitienhaus über einen Wohnstift für allein Stehende bis hin zu Hotel und Gastwirtschaft. Neue Arbeitsplätze sind entstanden.

Nein, bewirtschaftet wird dies alles nicht von den Nonnen. Sie führen ein möglichst zurückgezogenes Leben innerhalb des Komplexes. Im Sommer reisen die Besucher in Scharen an, um den Aufbau des Klosters und der Kirche zu bestaunen. Schwester Gratia ist die Managerin für diese Ströme. Sie lädt sie zur Teilnahme am Gottesdienst und Stundengebet ein. Außerdem werden Führungen angeboten.

Gratias Arbeitsplatz ist an der Klosterpforte. Dahinter beginnt die Klausur, die eigentliche Keimzelle und der Herzmuskel für alle anderen Projekte in Helfta. Besucher gelangen dort nicht hinein. Die Zeit, die Schwester Gratia mir widmen kann, verbringen wir in einem schlichten Besucherzimmer. Durchs vergitterte Fenster blickt man in den Konventsgarten, der nur den Nonnen vorbehalten ist.

Ich erkundige mich bei Gratia, warum sie ins Kloster eintrat. Die Standardfrage, meint die in Rumänien geborene Frau lächelnd. Als junges Mädchen suchte sie einen Ausweg aus dem vom Materiellen bestimmten Leben. Sie fand ihn schließlich bei den nach der Regel des heiligen Benedikt lebenden Zisterzienserinnen. In ihrem Orden bezieht sie nicht einmal ein monatliches Taschengeld. Das Tagwerk ist von Gebets- und Schweigezeiten umrahmt.

Ich spüre es: Sie ist glücklich

Die heute 35-Jährige hatte die ewigen Gelübde bereits abgelegt, ehe sie vor fünf Jahren nach Helfta kam. Sie ist eine der jüngsten im Kreis der Schwestern, jünger sogar als die beiden Novizinnen. Die größte Hürde für die heute ins Kloster eintretenden Frauen, meint Schwester Gratia, bestehe im Erlernen des Gehorsams. Die Kandidatinnen sind meist älter als 30 Jahre. Nach Jahren der Selbstständigkeit fällt es ihnen schwer, ihre Entscheidungsfreiheit aufzugeben. Trotzdem herrsche hier keine Willkür, erklärt mir Gratia. Kritik zu äußern sei auch für die jungen Schwestern möglich.

Bevor ich das Kloster verlasse, schüttelt mir Schwester Gratia zum Abschied herzlich die Hand. Ich spüre es: Sie ist glücklich hier.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 31 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 29.07.2004

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