Offen für fremde Schicksale
Eine kleine Gruppe von Christen kümmert sich in Dresden um Abschiebungshäftlinge
Dresden (tg) -Als die Frist für seine "Duldung" abgelaufen war, blieb der Kosovo-Albaner in Deutschland. Er wollte die deutsche Frau, die er hier kennen gelernt hatte, als sie noch Trinkerin war, nicht im Stich lassen. Dann geriet er in eine Polizeikontrolle und kam in Abschiebungshaft. Selbst das Jugendamt intervenierte: Der Mann habe der Frau aus schlimmen Lebensverhältnissen herausgeholfen und damit die Kinder aus dem Kinderheim geholt. Doch auch das habe die Behörden nicht umgestimmt, erzählt Ursula Mai. Er wurde abgeschoben.
Ursula Mai leitet die sechsköpfige "Christliche Abschiebungshaft- Gruppe" der katholischen Friedensbewegung Pax Christi, die sich um Menschen kümmert, die in der Dresdner Justizvollzugsanstalt (JVA) sitzen. Ein evangelischer Pfarrer gehört dazu, eine Mitarbeiterin des Ökumenischen Informationszentrums (ÖIZ), eine Ärztin, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Technischen Universität und ein Jesuitenpater. Seit fast zwei Jahren gehen sie einmal pro Woche in den Besucherraum der JVA und reden dort mit ausländischen Abschiebungshäftlingen. Wenn nötig, mit Dolmetscher.
Für ein Gespräch haben sie gerade eine Viertelstunde Zeit. Da müssen sie heraushören, ob der Abschiebungshäftling Kontakt zu Fachberatern, Rechtsanwälten, Angehörigen braucht. Und unterscheiden: Handelt es sich um einen einfachen Fall oder um eine menschliche Tragödie, wo dringend Hilfe nötig ist? Etwa bei der 24-jährigen Frau, die seit fast zwei Jahren in Deutschland lebt. Sie sagt, sie sei aus dem Sudan geflohen. Doch die Behörden glauben ihr nicht. Sie sind der Ansicht, sie stamme aus Nigeria. Dorthin wollen sie sie auch abschieben. Papiere, um ihre Herkunft nachzuweisen, hat sie nicht. Oder jener heute 33- jährige Algerier, der in Deutschland kein Asyl bekam. Er war als Soldat in seinem Heimatland von Terroristen entführt worden und geflohen. Das war für die Behörden keine "staatliche Verfolgung". Zweimal hat er versucht, sich umzubringen. Jetzt ist er vorerst aus der Abschiebungshaft heraus, lebe aber noch immer in der Angst davor, nach Algerien abgeschoben zu werden und dort als Deserteur für immer im Gefängnis zu verschwinden, erzählt Ursula Mai.
Schätzungen zufolge leben zwischen 500 000 und eine Million Menschen in Deutschland in dieser Illegalität. Werden sie aufgegriffen, würden sie "wie Kriminelle weggesperrt", sagt Ursula Mai. Sie meint: "Diese Menschen sitzen unschuldig im Gefängnis." Für viele der Ausländer allerdings, mit denen die Mitglieder der Dresdner Gruppe sprechen, seien die Umstände nicht so tragisch, sagt Ursula Mai. Einige von ihnen kommen, um hier ein paar Wochen illegal zu arbeiten und dann wieder zu verschwinden. "Aber wir haben nicht nach Schuld zu fragen oder darüber zu richten. Wir wollen im Gespräch unser Mitgefühl zeigen." Jeder Häftling hat das Recht, bei der Gefängnisleitung einen Antrag auf ein Gespräch zu stellen. Doch um mehr dieser Wünsche erfüllen zu können, braucht die Abschiebehaft-Gruppe dringend neue Mitstreiter, vor allem jüngere Leute. Ursula Mai: "Die wichtigste Fähigkeit, die man mitbringen muss, ist, sich offen auf Menschen einlassen zu können."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 05.08.2004