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Bistum Dresden-Meißen

Zwei Jahre nach der Flut

Die Caritas in Sachsen ist immer noch mit den Folgen beschäftigt

Die Elbe fließt wieder in ihrem alten Bett: Schwester Antonia Segebarth auf der Aussichtsplattform auf dem Gelände der Caritas-Ferienstätte Naundorf.

Bad Schandau / Dresden (dc/cv) -Die Flutwelle ist längst zurückgegangen, das überschwemmte Land ist getrocknet. Dem, der jetzt durch die Sächsische Schweiz fährt, fallen nebst den felsigen Naturdenkmälern die Fassaden der Häuser in frischen, bunten Farben auf. Doch an einigen Gebäuden bröckelt der Putz, andere -wenige -sind so geblieben wie die Zerstörungswucht der Flut sie hinter sich gelassen hat, mit zerschlagenen Fensterscheiben oder teilweise abgetragenen Mauern. Der Ölgeruch von den zerstörten Heizungsanlagen und Schiffen hat sich aus den überfluteten Bauten wieder verzogen. Der Boden hat sich von den Vergiftungen durch Schwermetalle erholt. Bäume, denen die Flutwelle die Wurzeln nicht ausgerissen hat, stehen in voller, hochsommerlichen Pracht.

Nun fällt der sparsame Sommerregen auf reparierte oder neu errichtete Straßen. Was vor zwei Jahren ein Bild der Verwüstung gewesen ist, bestimmt von Müllbergen und Schlamm, strahlt heute neu und sauber. Es scheint, als hätte sich doch alles zum Guten gewendet, auch wenn klar ist, dass die Hochwassergebiete wirtschaftlich "zurückgeworfen" wurden.

Dass sich während der Flutkrise auch viel Gutes und Menschliches heraus kristallisiert, stimmt Peter Neumann, den katholischen Pfarrer von Bad Schandau und Königstein, nachhaltig dankbar. "Während und nach dem Hochwasser im August 2002 hat jeder jedem geholfen, wo er nur konnte", erinnert er sich. Helfer vor Ort packten kräftig an, ignorierten ihre Erschöpfung und hielten den Kopf hoch, höher als das Wasser stand. Caritas-Sozialarbeiter Heiko Rosenkranz wundert sich im nachhinein selbst, woher er damals die Kraft nahm, so vielen Menschen fast ohne Pause zu helfen und Hoffnung zu vermitteln.

"Durch die Hochwasserkrise wurden unvermutete Kräfte in uns freigesetzt", hat auch Schwester Antonia Segebarth erfahren, die als Leiterin der Caritas- Familienferienstätte in Naundorf über 100 Evakuierte und Helfer aufnahm. "Ergreifend, wie Menschen, die sich kannten und auch solche, die sich nicht kannten, füreinander durch dick und dünn gegangen sind, wie der eine dem anderen, der gar nichts mehr hatte, auch das gab, was er selber noch hätte brauchen können."

Caritas stieß durch die Fluthilfe auf weitere Nöte

Ausschlaggebend für den raschen Wiederaufbau nach dem Hochwasser war auch die großzügige Hilfsbereitschaft von Spendern aus Deutschland und der ganzen Welt, die die Caritas und andere Hilfsorganisationen unterstützten. Rund 32 Millionen Euro Spendengelder zahlten die Caritas-Diözesanverbände Dresden-Meißen und Magdeburg nach eigenen Angaben als Ergänzung zu der staatlichen Hilfe an Flutbetroffene in Sachsen aus. Dadurch erhielten über 5000 Privathaushalte, 444 Kleingewerbetreibende und 19 soziale Einrichtungen finanzielle Unterstützung. Bewährt hat es sich dabei, dass die Sozialberater direkt zu den Betroffenen gegangen sind. Sie konnten sich selbst ein Bild von der Lage machen, führten Gespräche und halfen beim Ausfüllen der Anträge. Und zu manchen, bei denen sich auch noch andere soziale Probleme auftaten, hielt der Kontakt noch länger. In der Regel vermitteln die Sozialarbeiter die Betroffenen dann an andere Fachdienste.

Durch den direkten Kontakt zu den Betroffenen konnte weitestgehend vermieden werden, dass Einzelne mehr Spendengelder erhielten, als sie tatsächlich benötigten. Und wenn es dennoch Rückforderungen gegeben hat, kamen die meisten dem ohne Auseinandersetzung nach. In den letzten Wochen und Monaten gab es nun zahlreiche Nachsorgebesuche. Vor allem die baufachliche Beratung war vielen, die durch die Flut unfreiwillig zu Bauherren geworden sind, eine große Hilfe.

Nun, da die Spendengelder fast komplett ausgezahlt sind, gibt es noch Hilfen für Sonderund Härtefälle, darunter Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, allein Erziehende oder Kinderreiche, die die Flutfolgen nicht aus eigener Kraft bewältigen können, bei denen staatliche Hilfen nicht ausreichten oder die aus triftigem Grund die Antragsfrist auf staatliche Hilfen verpasst haben.

In einigen ausgewählten Regionen bleibt die Caritas auch in Zukunft präsent. "Die Caritas hat durch ihren Einsatz von Nöten erfahren, die über die Flut hinausgehen und die teilweise auch schon vorher existierten", sagt Wolfgang Gerstner, Projektleiter der Caritas-Fluthilfe.

Auf der Grundlage der Kontakte, die während der Fluthilfe gewachsen sind, entstanden seit vergangenem Jahr in Bad Schandau, Freiberg, Freital, Grimma, Meißen, Schlottwitz / Müglitztal und Aue soziale Pilotprojekte der Caritas. Heiko Rosenkranz ist mitverantwortlich für eines dieses Projekte, die "Initiative Runder Tisch" in Bad Schandau. Verschiedene Institutionen entwickeln dabei gemeinsam Ideen und Projekte für die Jugendarbeit und unterstützen sich bei der Verwirklichung. "Das Pilotprojekt greift die Solidarität der Flutkrise auf und setzt sie in Aktivitäten um", erläutert sein Kollege Christian Ziegs. Seit September 2003 laden die beiden Sozialarbeiter den Bundesgrenzschutzbürgerbeamten, Vertreter der Stadt, der Kirchen und verschiedener Vereine zu regelmäßigen Austausch-Treffen ein. Zwei der Projektideen, die dabei entstanden, ließen sich bereits umsetzen: ein Selbstverteidigungskurs, den der Bundesgrenzschutzbürgerbeamte für 14- bis 18-jährige Jungen und Mädchen anbot sowie Freilichtfilmvorstellungen auf dem Markt in Bad Schandau. Auch den Kontakt zwischen dem Caritas-Pflegeheim und einer Grundschule haben die beiden Sozialarbeiter vermittelt, um dadurch den Austausch zwischen Jung und Alt zu fördern.

In Zukunft wollen die beiden Caritas-Mitarbeiter die Menschen aus Bad Schandau weiterhin dazu motivieren, sich sozialem Denken zu öffnen und eigene Projekte aufzubauen. Des Weiteren wollen sie die Schulsozialarbeit stärken und über die Grenze hinaus Kontakte zu den tschechischen Nachbarn suchen, die ebenfalls eine schwere Flutkrise durchgemacht haben.

"Wir können nicht beten, tun Sie es für uns!"

Auch in der nahe gelegenen Caritas- Ferienstätte richtet sich der Blick in die Zukunft. Die Schönstätter Marienschwestern hatten dort über 100 Evakuierte aufgenommen, obwohl die Einrichtung eigentlich nur 40 Plätze hat. Große Baupläne stehen bevor, die Ferienstätte soll bis 2006 erneuert werden (mehr dazu in der nächsten Ausgabe). Die Hochwasser- Vergangenheit ist noch lebendig. Schwester Antonia Segebarth wird häufig von Gästen auf den Sommer 2002 angesprochen. Bereitwillig erzählt sie darüber. Sie erinnert sich, wie das Telefon ständig klingelte und die Frage nach freien Betten wiederholt kam. Bewohner einer Pirnaer Seniorenresidenz, die zunächst in einer Turnhalle notevakuiert waren, zogen Mitte August in die Naundorfer Ferienstätte, darunter auch Bettlägerige und Rollstuhlfahrer. Behinderte und Familien mit Kindern kamen auch dazu, in dem anfänglichen Trubel war es zunächst schwer, alle Evakuierten zu registrieren. Alle zwei Tage standen Lebensmittel- Großeinkäufe auf dem Programm, die anfänglichen Sorgen um das Trinkwasser erwiesen sich als unnötig. Fluthilfe mit Herz leisteten auch die Menschen aus Naundorf. Weil es in den ersten Tagen selbst an den einfachsten Dingen wie Zahnbürste, Kamm oder Batterien fehlte, entschloss sich ein mitfühlender Naundorfer die dringendsten Einkaufswünsche der Evakuierten aufzuschreiben und alles zu besorgen. Um die Gäste aufzuheitern, organisierte er auch ein Sommerfest mit Ponnys, Eisbude, Kinderschminken und Motorradfahren. Kinder pflückten Blumen für die Gäste, sangen und tanzten für sie. "Es sollte nicht an Vitamin F, an Freude fehlen", wie es Schwester Antonia ausdrückt.

Von den "Notgästen" des Hochwassers kommt ab und zu jemand mit Blumen zu Besuch, zeigt wie groß die Kinder inzwischen geworden sind und denkt mit den Schönstätter Marienschwester an die intensive Zeit der Solidarität zurück.

Manchmal fragt sich Schwester Antonia, ob sich durch die damaligen Erfahrungen Menschen wohl Gott genähert haben. Die Antwort kennt sie nicht, denn sie weiß, dass die Dinge, die im Inneren der Menschen vorgehen, nicht unbedingt sofort Früchte tragen. Eines kann sie jedoch sicher sagen: "Auch Nicht-Christen fühlten sich bei uns geborgen und aufgenommen. Und einige, die dachten, selbst nicht beten zu können, haben uns damit beauftragt."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 33 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 12.08.2004

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