Den Protest der PDS überlassen?
Eine Diskussion über Hartz IV beim Bibelfest in Wörlitz
Wörlitz (mh) -"Wollen Sie den Protest allein der PDS überlassen?" Mit dieser Frage wandte sich Dr. Monika Zimmermann, Chefredakteurin der Mitteldeutschen Zeitung Halle, an die Kirchen. Hintergrund sind die Diskussionen um Hartz IV. "Die Kirchen haben sich bisher dazu nicht erkennbar artikuliert. Sie müssen sich aber fragen, was sie tun können, sonst werden einzelne politische Parteien davon profitieren", warnte Frau Zimmermann. Eigentlich hieß das Thema der Podiumsdiskussion während des Bibelfestes zum zehnjährigen Bestehen des Bibelturmes in Wörlitz (Bericht Seite 13) "Was ich Prominente schon immer einmal fragen wollte". Doch nach kurzen, dem Thema entsprechenden Einleitungsworten kam das Gespräch auf die allgegenwärtigen Reformen in Deutschland. Und bei diesem Thema blieb es dann auch -eine Stunde lang.
Dabei wurde die Kritik der Journalistin nicht nur in Wortmeldungen aus dem Publikum bekräftigt, auch Kirchenpräsident Helge Klassohn von der evangelischen Landeskirche Anhalt, sagte: "Sie haben Recht." Seit der Verabschiedung des gemeinsamen Sozialwortes der Kirchen Ende der 90er Jahre sei es viel zu still geworden. "Was ist heute mit der biblischen Option für die Armen? Und was bedeuten heute Gerechtigkeit und Solidarität?"
Auch der Vertreter der katholischen Kirche, der Dessauer Propst Dr. Gerhard Nachtwei, nahm die Kritik an. Er gestand aber zugleich eine gewisse Hilflosigkeit und fragte: "Was können wir angesichts der internationalen wirtschaftlichen Verflechtungen tun", in denen er eine wichtige Ursache für die gegenwärtigen Probleme in Deutschland sieht. Der Globalisierung der Finanzmärkte müsse eine Globalisierung der sozialen Standards entgegengesetzt werden. Hier müssten die Kirchen untereinander und mit anderen Gruppen weltweit zusammenarbeiten. Nachtwei äußerte sich allerdings eher skeptisch mit Blick auf neue Papiere und Konzepte: "Was bringt das? Ist nicht die entscheidende Stelle dort, wo wir als Christen vor Ort sind?" Deshalb: "Bringen wir unsere Gemeinden dazu, vor Ort konkret Sinnvolles zu tun."
Dennoch fehlt Kirchenpräsident Klassohn "die große Aktion der Kirchen, die auf den Prinzipien des Sozialwortes beruht." Angesichts der inzwischen aufkommenden Emotionen hält er es für wichtig, dass die Kirchen die Ängste der Menschen aufnehmen und zu einem argumentativen Austausch führen. Reformen seien notwendig, aber die Schwachen dürften nicht so belastet werden wie die Starken. Die Verhältnisse in Ost und West seien sehr unterschiedlich. Im Osten bringe die Einführung des Arbeitslosengeldes II die Gefahr einer voranschreitenden Verarmung mit sich.
"Es gibt Leute, die den Sozialstaat ausgenutzen. Davon leben aber die wenigsten hier im Osten." Auch die aus dem Westen kommende Journalistin Zimmermann hält Reformen für notwendig. Die Ursachen für die momentane Krise gehen aus ihrer Sicht tiefer: Sie sieht sie im Verlust der "starken Werte der Vergangenheit, die das christliche Abendland über Jahrhunderte geprägt und zu einem beispielhaften Gesellschaftmodell gemacht haben". Doch auch die Menschen in Ostdeutschland haben ihre errungene Freiheit genutzt, "um diese Werte über den Haufen zu werfen. Wir alle haben dazu beigetragen, dass wir heute viel Freiheit haben, aber wenig Werte."
Wie aber zu diesen Werten zurückfinden? Eine Aufgabe für die Kirchen? Angesichts eines in der Diskussion festgestellten Desinteresses der Menschen an kirchlichen Äußerungen -"die Leute bewegt etwas anders, als die Kirchen formulieren!" -ist Kirchenpräsident Klassohn skeptisch: "Wie sollen die Kirchen Werte vermitteln, wenn das die Menschen nicht mehr interessiert?" Und für dieses Desinteresse ließ er sogar ein gewisses Verständnis durchblicken, denn: "Werte tun manchmal auch weh!"
Eine Antwort konnte in der Veranstaltung nicht mehr gefunden werden. Vielleicht liegt sie aber in der Richtung, die Klassohn mit Blick auf das in den letzten Jahrzehnten veränderte Umweltbewusstsein formulierte: "Im Umgang mit unserer Umwelt haben wir gelernt, dass wir nicht alles dürfen, was wir könnten. Das müssen wir auch in sozialer Hinsicht lernen."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 12.08.2004