Offen für Gottes Überraschungen
Bautzener Klarissen ergründen ihre eigene Spiritualität
Bautzen -"Guten Morgen, Maria!", sind die ersten Worte, die Schwester Maria Clara Faltermaier gleich nach dem Aufwachen jeden Tag über die Lippen kommen. Die Beziehung der Bautzener Klarissin zur Muttergottes ist familiärer geworden, seitdem sie sich gemeinsam mit der Äbtissin Maria Assunta Paul auf die Spuren der Ordensgründerin der Klarissen von der Ewigen Anbetung, Klara Bouillevaux (1820 -1851) begeben hat.
Bei der Suche im Ordensarchiv im südfranzösischen Castelnaudary stießen die Schwestern auf die Grundlagen ihrer eigenen Spiritualität. Manche ihrer Entdeckungen waren sogar für die Klarissen des französischen Klosters neu, die das Archiv hüten, ganz zu schweigen von dem vor 79 Jahren gegründeten Bautzener Kloster, das den größten Teil seiner Geschichte abgeschnitten vom westlichen Kommunikationsnetz erleben musste.
Die größte Neuigkeit war für Schwester M. Clara und Äbtissin M. Assunta, dass neben der franziskanischen und der eucharistischen auch eine marianische Säule zu ihrer Spiritualität gehört. "Natürlich, Marienfrömmigkeit spielt in jedem Orden eine wichtige Rolle, doch Mutter Klara Bouillevaux hatte ihre eigene Sicht auf Maria", erläutert die Äbtissin. Maria solle die "Supérieure Générale", die Generaloberin des Ordens sein, hatte die französische Gründerin festgelegt. "Wir haben entdeckt, dass wir es ihr überlassen können, hier den Karren zu ziehen", drückt es Äbtissin M. Assunta aus, und wenn die Schwestern Anbetung halten, "verbünden" sie sich jetzt vorher in Gedanken mit Maria.
Schwester M. Clara hat in den letzten Monaten etliche der Originaldokumente des Ordens ins Deutsche übersetzt, auch das Gebet, mit dem die Gründerin einst den Orden Maria weihte und das ihnen in einer alten Kiste durch Zufall in die Hände fiel. "Das Leben unserer Gründerin kennen zu lernen, ist für uns sehr wichtig. Wir erfahren dabei, wer wir selbst eigentlich sind und sein sollen", sagt sie.
Ein reger Briefverkehr mit den anderen Ordensniederlassungen in den USA, in Indien, Frankreich und Polen, hat begonnen. Vor kurzem war die Äbtissin in Wien, der zweiten deutschsprachigen Ordensniederlassung neben Bautzen, um über die in Vergessenheit geratenen Aspekte ihrer Spiritualität zu sprechen.
Für Äbtissin M. Assunta Paul ist es faszinierend zu erkennen, wie Gott ihre Gemeinschaft und jede einzelne Schwester führt. Vor einigen Jahren schien das hohe Durchschnittsalter des Bautzener Konvents keine großen Zukunftsaussichten mehr zu verheißen. Als der Dresdner Bischof Joachim Reinelt vor vier Jahren das 75-jährige Bestehen des Klosters mit den Klarissen feierte, sagte er spontan: "Ihr müsst beten, dann werden neue Schwestern zu euch kommen."
"Wenn er wüsste, wie viel wir darum schon gebetet haben!", schoss es der Äbtissin durch den Kopf. Noch am gleichen Abend fand Bischof Reinelt auf seinem Schreibtisch einen Brief von Schwester M. Clara Faltermaier und Schwester M. Cristiane Hintemann. Die beiden gehörten seit längerem zu den Sießener Franziskanerinnen, einem sozial aktiven Orden, und fragten nun an, ob es im Bistum Dresden-Meißen für sie eine Möglichkeit gäbe, eine Gemeinschaft der Anbetung zu gründen. Der Bischof schlug ihnen fünf verschiedene Orte vor, an denen dies möglich wäre und fragte an, ob sie einverstanden wären, sich als erstes das Klarissenkloster in Bautzen anzusehen.
Berührt von selbstloser Liebe
Sie nahmen das Angebot umgehend an und lebten in der Absicht, hier vielleicht eine neue kontemplative Gemeinschaft zu gründen, zehn Tage lang mit. "Wir haben uns gewünscht, dass dieses Kloster ein Ort der Anbetung bleibt, und wollten den beiden deshalb alle Wege ebnen", erinnert sich die Äbtissin. Unter anderem hatte sie gemeinsam mit den anderen Schwestern bereits überlegt, die Stempelaufschrift des Klosters von "Kloster der Klarissen" in "Kloster St. Klara" zu ändern, um den Übergang zu erleichtern. Schwester M. Clara war von der selbstlosen Liebe der Klarissen tief bewegt. "Die Schwestern hier sind bereit, für uns ihr Leben zu geben. Warum tun wir es nicht auch für sie? Warum packen wir die Sache nicht gemeinsam an?" , fragte sie sich. Ihre Anfrage, der Bautzener Gemeinschaft beizutreten, kam für die Äbtissin völlig überraschend.
"Fürchte dich nicht, ich bin es!"
Unabhängig von ihr entschied sich auch Schwester M. Cristiane gleichzeitig für den Bautzener Konvent. Dabei erschienen ihr die Lebensumstände hier alles andere als anziehend. Für eine Brasilianerin, die die längste Zeit ihres bisherigen Ordenslebens in brasilianischen Niederlassungen der Sießener Franziskanerinnen verlebt hatte, war ein Kloster, zu dem nur alte Schwestern gehören, völlig unvorstellbar. Auch die ostdeutsche Mentalität schien ihr gewöhnungsbedürftig, und das von Friedrich Press gestaltete Kreuz in der Klosterkirche, vor dem die Schwestern Anbetung hielten, empfand sie als monströs. In einer Nachtanbetung spürte sie beim Blick auf das große Ziegelsteinkreuz mit den hohlen Augen, dass Jesus ihr sagen wollte: "Fürchte dich nicht, ich bin es. Hier ist dein Platz." Trotz aller äußeren Schwierigkeiten spürte sie in ihrem Inneren eine tiefe Freude und einen Frieden, der sie seither nicht mehr verlassen hat. Viele schmerzliche Situationen werden für sie zur Gottesbegegnung, und die Aussage "Fürchte dich nicht, ich bin es!" wird darin für sie immer wieder zur Gewissheit.
Wenn Schwester M. Cristiane am 17. September ihre Feierliche Profess ablegt, ist das für die 54- Jährige wie eine Besiegelung ihrer bisherigen Lebens- und Berufungsgeschichte, die sie selbst als eine "Geschichte aus Leidenschaft für Gott" beschreibt. Sie sah sich immer als sehr aktiven Menschen, sie liebte ihr Heimatland Brasilien und die Arbeit mit Drogenabhängigen, die sie dort zuletzt ausübte, faszinierte sie. Doch ihr Glück fand sie letztlich an einem Platz, den sie sich allein nie ausgesucht hätte
Schwester M. Clara hatte ihre Professfeier bereits im vergangenen Jahr. Auch für sie ging mit dem Eintritt bei den Klarissen eine mehrjährige Suche zu Ende. Das soziale Engagement war ihr als Tochter einer engagierten katholischen Landarztfamilie in Schwaben gewissermaßen in die Wiege gelegt. In der Pfarrjugend stieß sie intensiver auf Glaubensfragen, die sie schließlich zum Theologiestudium motivierten. Nach einigen Semestern stellte sie fest, dass ihre eigentliche Sehnsucht durch das Studium nicht erfüllt wurde: Sie suchte Gott, nicht die Wissenschaft. So trat sie in Sießen ein, schloss Studium und Pastoralreferentinnenausbildung ab und leitete Exerzitien für junge Leute, auch innerhalb des Ordens. Eine innere Spannung blieb, weil sie merkte, dass sie stärker zum Gebet berufen war. Die Generaloberin erlaubte ihr, Schwester M. Cristiane und einigen anderen Schwestern, innerhalb des Klosters eine Gruppe zu sein, die intensiv im Schweigen und Gebet lebte. Auf Dauer war das aber dort nicht möglich, und dennoch war klar, dass es ihr Weg war.
Ein Traum als Wegweiser
Clara einen Traum: Sie sollte Bischof Reinelt schreiben und ihn fragen, ob sie in seinem Bistum eine kontemplative Gemeinschaft gründen dürfte. Beim Aufwachen erinnerte sie sich dunkel, dass sie Bischof Reinelt mal bei eine Predigt in München erlebt hatte und dass er irgendwo in Ostdeutschland lebte. Sollte sie diesen Traum ernst nehmen? Sie nahm sich vor, ein paar Hürden zu setzen, um herauszufinden, was Gott von ihr wollte. Sie fragte ihre Generaloberin und den Weihbischof und stieß überall auf offene Türen. Wie die Geschichte weiterging, ist bereits erzählt.
Der Neuaufbruch bei den Bautzener Klarissen hat nicht erst mit der Ankunft der beiden jüngeren Schwestern begonnen, sondern eigentlich schon kurz nach der Wende, erzählt Äbtissin M. Assunta. Damals bekamen die Schwestern mit, dass es für die Obdachlosen, die an ihre Tür klopften, in der Stadt noch keine Übernachtungsgelegenheit gab. Zwei Jahre lang lockerten die Klarissen ihre Klausur und betrieben in einem kleinen Haus auf dem Klostergelände eine Übernachtungsstätte für Obdachlose. Längst ist eine kommunale Lösung gefunden, doch die Schwestern verfahren weiterhin nach der Devise: "Wir holen uns keine Not heran, aber wenn sie vor der Tür steht, helfen wir."
In jüngerer Zeit sind Kontakte zur Franziskanischen Gemeinschaft der Region gewachsen, die sich dreimal jährlich im Kloster trifft. Offen sind die Schwestern darüber hinaus für Menschen, die im Kloster stille Tage verleben und eine Zeitlang mitbeten möchten. Ein weiteres Hoffnungszeichen für die Zukunft: Seit kurzem lebt eine Postulantin bei den neun Klarissen.
Dorothee Wanzek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 20.08.2004