Wir pfeifen auf dem letzten Loch
Franz Alt und sein ökologischer Jesus beim Deichtag in Mühlberg
Mühlberg / Elbe (mh) - Eine besondere "Tagesschau" gab es am 21. August in der Klosterkirche in Mühlberg / Elbe: Die Nachrichten des Tages waren nicht die Bombenanschläge in Bagdad, die Diskussionen um Hartz IV oder verpasste Olympiamedaillen. Der Journalist, Autor und Zukunftsexperte Franz Alt hatte eine "ökologische Tagesschau" zusammengestellt. Und deren Meldungen für diesen Samstag hießen: Wieder wurden 100 Tier- und Pflanzenarten ausgerottet, 30 000 Hektar neue Wüste sind entstanden, 80 Millionen Tonnen fruchtbarer Boden gingen verloren, eine Viertelmillion Menschen mehr lebt auf der Erde und 100 Millionen Tonnen neues Treibhausgas wurden in die Luft geblasen - an einem Tag so viel, wie die Natur von sich aus in 500 000 Tagen produziert. Nachrichten, die sich Tag für Tag wiederholen ließen, "die wir aber verdrängen und statt dessen über Zahnersatz und Dosenpfand diskutieren", sagte Franz Alt. Wenn es so weitergeht, ist es für ihn unmöglich, dass diese Menschheit Zukunft hat: "Wir pfeifen auf dem letzten Loch!"
Anlass für diese kritische Bilanz des Umgangs der Menschen mit ihrer Umwelt war der zweite "Tag des Deiches" in Mühlberg. Neben Franz Alts Vortrag über "Zukunft auf dem Abstellgleis oder die Suche nach einer neuen Lebensart - Perspektiven einer neuen Lebensqualität" gab es unter anderem einen ökumenischen Gottesdienst, eine Podiumsdiskussion und Informations- und Unterhaltungsangebote. Die Stadt und die Kirchen hatten zum Deichtag in Erinnerung an das "Wunder von Mühl-berg" während der Hochwasserkatastrophe von 2002 eingeladen. Mühlberg war damals von einer Überflutung verschont geblieben. "Für dieses Geschenk der Bewahrung wollen wir uns dankbar zeigen", sagt der katholische Pfarrer, Pater Ansgar Schmidt. Und diese Dankbarkeit besteht für ihn auch darin zu fragen: "Was können und was müssen wir aus dieser Flutkatastrophe lernen?" Der Suche nach Antworten diente unter anderem der Abend mit Franz Alt.
Trotz der verheerenden Bilanz gibt es für Alt keinen Grund zur Resignation: "Es gibt Perspektiven. Die sind nur noch nicht in der Politik und in den Köpfen der Menschen angekommen." Der Schlüssel zur Lösung der Probleme liege dabei in der Energiefrage, konkret in der Umstellung auf erneuerbare Energien, gewonnen aus Wasser, Wind, Erdwärme und vor allem aus Sonnenlicht. "Die Sonne liefert uns 15 000 mal soviel Energie wie die Menschheit gegenwärtig verbraucht. Warum führen wir also Krieg um Öl?", fragte Franz Alt.
Dass in den nächsten 50 Jahren eine nahezu vollständige Umstellung auf erneuerbare Energien möglich ist, belegen Energieprognosen nicht nur durch die Europäische Union. Entsprechende Untersuchungen gibt es auch durch große Mineralöl-Konzerne. Damit es aber nicht bei der bloßen Möglichkeit bleibt, "müssen wir alle mitmachen", sagt Franz Alt. Und dafür hatte er dann konkrete Beispiele.
Beispiel eins: Hausbau. "Deutsche Architekten müssen lernen, wo Süden ist." Energetisch gebaute oder renovierte Häuser könnten bis zu 90 Prozent weniger Heizöl verbrauchen. Nebeneffekt: Würden nur 15 Prozent aller Altbauten in Deutschland bis 2010 entsprechend umgebaut, würden eine halbe Million Arbeitsplätze entstehen. Zweites Beispiel: Windenergie. Die in Deutschland inzwischen aufgestellten 16 000 Windräder produzieren fünf Prozent des gesamten Stromes. Unverständnis zeigte Franz Alt gegenüber den etwa 1000 Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen, die es in Deutschland gibt. Er forderte Bürgerwindparks, an denen sich Einzelne schon mit geringen Geldbeträgen beteiligen können. Weitere Beispiele: Autofahren ("Wer heute ein Zehn-Liter-Auto fährt, verhält sich assozial") und Solaranlagen auf Hausdächern.
"Statt ewig zu jammern, lasst uns gemeinsam einen neuen Weg einschlagen", hieß Franz Alts Appell. Mit einzelnen technischen Lösungen ist es dabei für ihn allerdings noch nicht getan. "Die Technik allein wird uns nicht retten. Ohne eine ökologische Ethik kriegen wir die Kurve nicht." Wichtige Ansätze dafür gibt es seiner Ansicht nach in der biblischen Botschaft: "Wer im Angesicht unserer ökologischen Krisen das Neue Testament neu liest, wird den ökologischen Jesus entdecken und eine ökologische Spiritualität finden, die beim Überwinden der globalen ökologischen Krise entscheidend helfen kann."
Informationen im Internet: www.sonnenseite.comAufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 25.08.2004