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Geschichte zum Anfassen

Ein Angebot zur Merseburger Ausstellung "1000 Jahre Domkapitel"

Wie vor 1000 Jahren: Unter Anleitung von Eva Kindler schreiben zwei Ausstellungsbesucher mit Federkiel und Tinte karolingische Buchstaben aufs Papier.

Merseburg (ep) -"Die Könige des Mittelalters haben fest geglaubt, von Gott als Herrscher auserwählt zu sein", sagt Eva Kindler. "Wenn wir im Monogramm (Namenszeichen) Heinrichs II. die Buchstaben für Henricus Dei Gratia Rex (Heinrich, König durch Gottes Gnade) lesen, so ist das keine leere Floskel. Man muss sich zum Beispiel klar machen: Vor einer Krönung hat sich der künftige König fast nackt mit dem Gesicht nach unten auf den Boden gelegt und um Gottes Beistand für sein Amt gefleht. Welche Rolle der Glaube spielte, können sich die Menschen heute oft nicht vorstellen."

Mit viel Engagement ist die Museumspädago-gin dabei, Besuchern der Ausstellung zur 1000-jährigen Geschichte des Merseburger Domkapitels (TAG DES HERRN berichtete in Ausgabe 34) das Monogramm des für das alte Merseburg so wichtigen und 1146 heilig gesprochenen Herrschers zu erklären. Heinrich II. (1002 -1024) habe selbst nicht schreiben, vielleicht lesen können, sagt Frau Kindler. Nur einen Querstrich habe der König und spätere Kaiser jeweils zum Zeichen der Gültigkeit in das Monogramm unter seinen Urkunden gesetzt. Die Unsicherheit und Ungelenkigkeit, mit der seine Hand den Strich auf das Pergament schrieb, sei auf den in der Ausstellung gezeigten Schriftstücken, so auf der Wiedererrichtungsurkunde des Bistums Merseburg von 1004, förmlich zu spüren. Zum Zeichen der Vollmacht und zum Schutz der Urkunde trage jedes Monogramm die griechischen Buchstaben X (Chi) und P (Rho) für Christus. Und auch der Kreuzestitel INRI (Jesus, der Nazoräer, König der Juden) sowie das Kreuzzeichen seien zu finden und zeigten die geistliche Bedeutung der Urkunden.

"Mit Brief und Siegel" ist eines der Angebote überschrieben, zu dem Erwachsene, aber auch Schüler im Rahmen des museumspädagogischen Begleitprogramms zur Ausstellung "Zwischen Kathedrale und Welt -1000 Jahre Domkapitel Merseburg" eingeladen sind, die bis 14. November in der einstigen Bischofsstadt gezeigt wird. "Herrscherurkunden sind Zeitzeugen, wenn man sie zu lesen weiß", sagt Frau Kindler. "Sie wurden nach strengen Regeln verfasst, mit Siegel und Monogramm versehen und mit dem Chrismon (XP) geschützt. In unserem Skriptorium (Schreibstube) besteht die Möglichkeit, solche Urkunden anzusehen, zu verstehen und nachzubilden." Während Frau Kindler den weiteren Aufbau einer Urkunde Heinrichs erläutert, sitzen an einigen der 25 Schreibpulte Ausstellungsbesucher und üben sich in karolingischer Minuskelschrift.

"Das ist sehr meditativ", meint ein junger Mann. Konzentriert und gelassen sitzen er und seine Freundin vor ihren Pulten und schreiben, ja malen mit Federkiel und schwarzer Tinte eine Minuskel nach der anderen aufs Papier. "Die alten Buchstaben mit Sorgfalt zu schreiben macht wirklich ruhig", unterstreicht Frau Kindler. Manche Besucher säßen zwei bis drei Stunden hier. "In unserer Ausstellung sind zahlreiche alte Urkunden zu sehen. Wenn man ein paar solcher Schreibübungen gemacht hat, kann man plötzlich einiges darauf lesen", sagt Frau Kindler und zeigt anderen Gästen die vorbereiteten Blätter mit dem Alphabet in karolingischen Minuskeln, aber auch verschiedenen Monogrammen Heinrichs und über die Merseburger Zaubersprüche.

Die Ausstellungsmacher haben sich allein mit dem Skriptorium und der Kinderwerkstatt viel Mühe gegeben, um den Besuchern die mittelalterliche Welt nahe zu bringen. So können Frau Kindler und ihre Kolleginnen zum Beispiel mit den Kindern Naturfarben herstellen, wozu es nicht zuletzt in den Herbstferien eigene Angebote geben wird. Zudem wird mit den Mädchen und Jungen an den vermuteten Orten die so genannte Nachwahl und Krönung Heinrichs in Merseburg (1002) nachgespielt. Kleine und große Besucher können sich auch ein Siegel anfertigen oder mit der Kunst des Initialen- Malens vertraut machen. Hervorragende Beispiele der mit Bildern ausgestatteten Anfangsbuchstaben können in der ausgestellten großen Merseburger Bibel (zwölftes Jahrhundert) bewundert werden. Und auch ein Projekt zur Einführung in die romanische Baukunst bieten Frau Kindler und ihre Kollegen an.

Anmeldung / Infos: Ausstellungsgesellschaft Dom und Schloss mbH, Domplatz 1, 06217 Merseburg, Tel. (0 34 61) 82 32-46 / -47; E-Mail: info@merseburg2004.de oder eva.kindler@merseburg2004.de

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 36 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 01.09.2004

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