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Toleranz ist nur Waffenstillstand

Plädoyer für einen neuen Umgang der Religionen miteinander

Dresden (mh) -Wenn es um den Umgang der Religionen miteinander geht, hält Jörn Rüsen von Toleranz nicht sehr viel. Stattdessen tritt er für einen völlig anderes Miteinander der Religionen in der modernen Gesellschaft ein. Wie er sich das vorstellt, erklärte der Historiker jetzt bei einer Tagung zu den Zehn Geboten. Veranstaltet wurde sie von den evangelischen Akademien Thüringen und Berlin sowie vom Dresdner Hygienemuseum, in dem zurzeit die Ausstellung "Die Zehn Gebote" zu sehen ist.

Die Zehn Gebote seien in einer Zeit enstanden, in der es zwischen Religion und Moral keinen Unterschied gab. Heute würden Religionen nicht mehr gebraucht, um moralisches Handeln zu begründen, sagt Rüsen. Die Neuzeit habe diesen Zusammenhang aufgehoben und stattdessen eine allgemein geltende Moral aufgestellt, dessen klarsten Ausdruck der kategorische Imperativ Immanuel Kants darstellt: Handle stets so, dass die Maxime deines Handelns jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte.

Die Lösung der Moral von religiöser Begründung sei ein großer Fortschritt, weil eine solche Moral den Anspruch erhebt, für alle Menschen gültig zu sein. Rüsen: "Kants Imperativ gilt immer, egal ob ich Jude, Christ oder Muslime bin." Dennoch sei Religion nicht verschwunden: Die Stärke und Kraft religiöser Überzeugungen sei ungebrochen. Als herausragendes Symbol dafür wertete Rüsen die Anschläge des 11. September 2001. Darum stelle sich die Frage, wie moderne Gesellschaften mit religiösen Lebensformen umgehen.

Religionen sind tendentiell eine Gefahr

Die herkömmliche Möglichkeit sei die Toleranz. Im modernen Staat gelte das Prinzip der religiösen Toleranz, das der Preußenkönig Friedrich der Große in den Satz gefasst hat: "Jeder soll nach seiner Fasson selig werden." Aber: "Toleranz ist nichts anderes als der Waffenstillstand im Religionskrieg", so Rüsen. Problematisch werde das Prinzip dann, wenn Religionen mörderisch werden. Und diese Gefahr bestehe nicht nur beim Islam. In den USA hätten auch Christen mit Gewehren bewaffnet vor Abtreibungskliniken gesessen. Rüsen: "Alle Religionen bleiben tendentiell eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung." Der Grund dafür sei, dass jede Religion die Gottesfrage mit der Wahrheitsfrage verbindet. "Und wer nicht an den wahren Gott glaubt, ist aus dem Rennen."

Rüsen fordert deshalb für den Umgang der Religionen miteinander einen Schritt über die Toleranz hinaus: "Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung der Unterschiede." Die Religionen müssen dabei nicht auf ihren Wahrheitsanspruch verzichten. Es gehe auch nicht darum, die Unterscheide zwischen den Religionen zu relativieren -"in dem Sinne, dass es eigentlich egal ist, was ich glaube". Vielmehr sollten alle großen Religionen erkennen, dass sie Ausdruck des gleichen Allgemeinen seien, allerdings unter jeweils anderen konkreten historischen Umständen. "Das, was den Glauben eines Anhängers einer anderen Religion von meinem Glauben unterscheidet, ist ein Ausdruck dessen, woran ich glaube, nur unter anderen Lebensbedingungen."

Ein solches Miteinander der Religionen sei zwar eine klassische Argumentation, so Rüsen. Aber: "Sie ist nur noch nicht bei den konkreten Gläubigen angekommen." Ausnahmen gibt es freilich, und Rüsen stellte einen Benediktinermönch am Ende seines Vortrags als Modell dieses neuen Miteinanders vor: "In einem Gespräch hat mir dieser Mönch gesagt: ,Durch meine zenbuddhistische Erleuchtung bin ich ein besserer Christ geworden.'"

Die Ausstellung "Die Zehn Gebote" ist noch bis zum 5. Dezember im Hygienemuseum Dresden zu sehen.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 37 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 13.09.2004

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