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Auf zwei Minuten

Ohne Gedanken und gleichgültig

Ein Beitrag von Pater Damian Meyer

Pater Damian

Der junge Mann mit dem riesigen Rucksack hatte es sehr eilig, aus der Straßenbahn auszusteigen. Vor der Tür drehte er sich scharf nach rechts und stieß mir dabei mit voller Wucht in die Seite. Ich wäre beinah umgefallen. Hatte er etwas gegen mich? Hasste er mich etwa? Nein, er hatte einfach nicht da-ran gedacht, seinen großen Rucksack abzunehmen. Er handelte aus Gedankenlosigkeit. Eigentlich gibt es ja den Zustand der Gedankenlosigkeit nicht, denn wir denken immer an irgendetwas. Wer aber gedankenlos handelt, wer "sich keine Gedanken macht", dessen Aufmerksamkeit ist nicht auf seine Umwelt, auf die aktuelle Situation gerichtet. Dadurch kann man manchmal seinem Mitmenschen großen Schaden zufügen, zum Beispiel durch einen Verkehrsunfall. Gedankenloses Geschwätz, unüberlegte Worte können manchmal tief verletzen und beleidigen.

Unaufmerksamkeit und Gedankenlosigkeit sind meistens vorübergehende Zustände, die aus der jeweiligen physischen und psychischen Situation des Einzelnen entspringen. Eine weit gefährlichere Einstellung gegenüber unseren Mitmenschen und der Gesellschaft ist die Gleichgültigkeit. Der Gleichgültige kapselt sich ab gegen die Nöte der Mitmenschen und konzentriert sich auf seine eigenen Bedürfnisse und seine eigene Sicherheit. Vielleicht hat er schlechte Erfahrungen mit seinem Engagement für andere gemacht und zieht sich aus Angst zurück. Es gibt aber auch die Haltung der Gleichgültigkeit aus einem grundsätzlichen Desinteresse an der Lage des anderen heraus. Der Mitmensch und sein Schicksal wird ignoriert, er ist einfach Luft. Wenn ich jemanden hasse, erkenne ich ihn wenigstens als verantwortliche Person an. Das eigentliche Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, sondern Gleichgültigkeit. Hier erstreckt sich das weite Feld der Unterlassungssünden. So bekennen wir im allgemeinen Schuldbekenntnis, "dass ich Gutes unterlassen und Böses getan habe." Der anglo-irische Dramatiker George Bernard Shaw hat einmal gesagt: "Die größte Sünde, die wir unseren Mitmenschen antun können, ist nicht, sie zu hassen, sondern ihnen gegenüber gleichgültig zu sein. Das ist absolute Unmenschlichkeit." Petrus Ceelen, katholischer Theologe und Gesprächstherapeut, notiert in seinem geistlichen Tagebuch: "Das meiste, was wir uns gegenseitig antun, geschieht nicht aus Lieblosigkeit, sondern aus Gedankenlosigkeit. Das Schlimmste, was wir uns gegenseitig antun, geschieht nicht aus Boshaftigkeit, sondern aus Gleichgültigkeit."

Pater Damian Meyer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 40 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 29.09.2004

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