Kopftuch und Djihad
Eine Vortragsreihe über den Islam
Wolfen -Trägt eine muslimische Frau ein Kopftuch, so will sie damit möglicherweise ihre fundamentalistische und antiwestliche Haltung ausdrücken. Vielleicht ist das Tuch auch ein Zeichen ihrer Unterdrückung durch Männer in ihrem Lebensbereich. Es kann aber genauso -und dies wird häufig der Fall sein -Symbol für ihre tiefe religiöse Einstellung oder schlicht und einfach ein für sie ganz alltägliches Kleidungsstück sein. Mit dem Kopftuch kann eine Muslima ihre Würde unterstreichen. Und auch eine Frau, die kein Kopftuch trägt, kann durchaus gläubige Muslima sein.
Aus welch unterschiedlichen Motiven islamische Frauen ein Kopftuch tragen, hat die Theologin Anja Middelbeck-Varwick deutlich gemacht. Bei Vortragsabenden im Rahmen der Woche der ausländischen Mitbürger vom 27. September bis 1. Oktober sprach sie in Magdeburg, Genthin und Wolfen über "Kopftücher und andere Feindbilder -christliche Vorbilder und muslimische Realitäten". In Haldensleben, Magdeburg und Naumburg referierte sie bei drei weiteren Veranstaltungen zum Thema "Djihad = Heiliger Krieg? Über die Gefahr des Fundamentalismus im Islam und Christentum". Veranstalter der Reihe war die Katholische Erwachsenenbildung (KEB) im Land Sachsen-Anhalt.
Die große Mehrheit der weltweit rund 1,2 Milliarden Muslime lebt nicht in den arabischen Ländern, sondern in Indonesien (175 Millionen), Pakistan (130), Bangladesch (110) und Indien (97). Angesichts dieser wenig bekannten Tatsache werde klar, dass der Islam kein einheitlicher Block, sondern eine vielfältig ausgeprägte Weltreligion sei, so die katholische Theologin. Dementsprechend unterschiedlich sei der Umgang mit dem Kopftuch, zumal im Koran in den Suren 24 und 33 zwar inhaltliche Bezüge, aber keine eindeutig klaren Vorschriften zu finden seien.
Im heutigen Ägypten zum Beispiel gebe es in der unteren Mittelschicht den Trend, den Schleier anzulegen als Symbol für den Versuch, Mutterschaft und privates Familienleben mit der Berufsarbeit in der Öffentlichkeit zu verbinden, so Frau Middelbeck-Varwick. Gegen die traditionelle Trennung des öffentlichen vom privaten Bereich setzen diese Frauen mit ihrem Kopftuch ein Zeichen ihrer Würde und der Wahrung weiblichen Anstandes. Studentinnen würden das Kopftuch im Sinne einer "islamischen Repositionierung", genauso aber auch als Zeichen ihres bewussten Lebens vor Gott und als Symbol des Taktes im Umgang der Geschlechter tragen.
Die Referentin erinnerte daran, dass in einem anderen Land, der Türkei, Frauen mit Kopftuch vom öffentlichen Dienst ausgeschlossen sind und oft auch in Privatunternehmen nicht angestellt werden. 1998 habe es dagegen mit einer Menschenkette von drei Millionen Teilnehmern eine große Demonstration gegeben. Insofern sei das Kopftuch in der Türkei ein proislamisches politisches Symbol. Im Blick auf das in mehreren Bundesländern, aber auch in Frankreich geltende Kopftuchverbot äußerten Veranstaltungsteilnehmer die Befürchtung, das Verbot, etwa als Lehrerin ein Kopftuch zu tragen, könnte "die Speerspitze" einer Tendenz sein, religiöse Symbole überhaupt aus dem Alltag zu verbannen.
Hinsichtlich des im Zusammenhang mit dem weltweiten Terrorismus oft gebrauchte Wort vom Heiligen Krieg sagte Frau Middelbeck-Varwick, der mittelalterliche Begriff des Djihad haben durch die islamistischen Bewegungen eine Wiederbelebung und Umdeutung erfahren. Das Wort, das Anstrengung, Einsatz bedeute, komme im Koran in verwandter Form mehrfach vor, jedoch nicht immer in kriegerischer Bedeutung. Der Einsatz auf dem Weg Gottes werde den Muslimen als gottgefällig empfohlen. "Welcher Art dieser Einsatz ist, das war und ist vielfältiger Interpretation offen", so die Referentin. Schon der Theologe al-Gazzali (gestorben 1111) habe den bloß militärischen Einsatz als kleinen Djihad, den Kampf gegen die eigene Triebseele als den großen und eigentlich verdienstvollen Djihad bezeichnet. Im modernen Sprachgebrauch werde das Wort auch im Sinne von Kampagne, etwa gegen die Armut verstanden. Die klassische Doktrin des Djihad in ihrer politischen Auslegung beinhaltet jedoch tatsächlich die Vorstellung, der Islam werde letztendlich siegen.
Die Theologin räumte ein, dass Nichtmuslime in der islamischen Welt nicht selten benachteiligt, auch bedroht leben. Die Ausübung des christlichen Glaubens dürfe in manchen Ländern nur im Verborgenen geschehen. Christliche Missionsarbeit sei überall verboten. Dennoch seien die Muslime in ihrer Mehrheit tief gottgläubige friedliebende Menschen, die den Glauben der Juden und Christen respektierten. Unverständlich, so Frau Middelbeck-Varwick, bleibe für sie wie für andere Zeitgenossen die Frage: "Warum verurteilt die Mehrheit der Muslime nicht lauter den Terrorismus ihrer Glaubensgenossen?"
Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 13.10.2004