"Alles Gute für Ihren weiteren Weg!"
Berufschancen junger Ostdeutscher - Eine Tagung
Berlin (mh) -Regina Schwendel aus Templin ist Gärtnerin. Nach dem Lehrabschluss 1989 hat sie drei Jahre in einer Gärtnerei gearbeitet, bis diese nach Übernahme durch die Treuhand geschlossen wurde. Es folgten vier Jahre Arbeitslosigkeit, dann erhielt sie einen Platz in einem Jugendausbildungswerk. Anschließend wieder zwei Jahre zu Hause, dann eine Strukturanpassungsmaßnahme (SAM). Zwischendurch verschiedene Jobs als Kellnerin oder in der Küche und "Bewerbungen-Schreiben ohne Ende". Doch: So viele Bewerbungen, so viele Absagen. Zurzeit hat Regina Schwendel wieder eine Arbeit -als "Mädchen für alles" in einer Schlosserei und spielt mit dem Gedanken, eine zweite Lehre als Restauratorin zu machen, die sie aber weitgehend selbst bezahlen müsste.
Timo Nietsch aus Berlin ist wie Regina Schwendel um die 30. Er hat gleich zwei Berufe -Dachklempner und Erzieher -und doch keine Arbeit, seit einem Monat. 45 Bewerbungen hat er geschrieben. Für Erzieher gibt es aber in Berlin nur zwei freie Stellen, bundesweit immerhin 50. Auch die Selbstständigkeit als Handwerker ist für ihn keine Perspektive: In seinem ehemaligen Lehrbetrieb gab es einmal drei Meister und 40 Gesellen, heute ist es noch ein Meister mit zehn Gesellen.
Regina Schwendel und Timo Nietsch -zwei Beispiele für junge Menschen in Ostdeutschland. Im Zuständigkeitsbereich der Berlin-Brandenburger Arbeitsagentur gibt es 33 000 Arbeitslose unter 25 Jahren. Zwei Drittel von ihnen verfügt über eine Ausbildung. Katholische und evangelische Akademie Berlin sowie der Verein "ATD Vierte Welt" wollten am UNO-Welttag gegen Armut (16. Oktober) mit einer Tagung auf die Situation dieser jungen Menschen aufmerksam machen. Eingeladen hatten sie dazu Beteiligte aus Politik und Wirtschaft, Träger von verschiedenen Projekten und Ausbilder und natürlich Jugendliche. "Armut in Deutschland, das heißt Kampf um die Zukunft für Millionen junger Menschen", sagt Mascha Join-Lambert von "ATD Vierte Welt". Die Initiative will den Kontakt zwischen den Betroffenen und den Entscheidern vor Ort fördern, damit Lehrer, Arbeitgeber und Politiker merken, welchen "unbefriedigten Hunger im Kopf" die Jugendlichen haben und wie wenig Chancen sie geboten bekommen.
Die Dimension der Chancenlosigkeit ist erschreckend: Dem Chef der Berlin-Brandenburger Arbeitsagentur, Rolf Seutermann, blieb für Regina Schwendel und Timo Nietsch letztlich nur der Rat, sich einmal Richtung Westen umzuschauen. "Etwa die Hälfte der Unter-30-Jährigen beschäftigt sich mit dieser Perspektive." Auch die jungen Leute aus der Uckermark, die in einer geförderten Maßnahme ein Slawenboot nachgebaut haben, werden vorerst wohl arbeitslos bleiben, denn: Mit ihrer Hoffnung auf eine touristische Vermarktung ihres Projektes und eine damit verbundene Weiterbeschäftigung sollen sie sich an das zuständige Brandenburger Wirtschaftsministerium wenden. Die anwesende Justizministerin Beate Blechinger (CDU) war nicht der richtige Ansprechpartner.
Die Probleme liegen aber nicht nur bei der Politik und der Wirtschaft. Teilweise sind die Ursachen auch bei den jungen Leuten selbst zu suchen, wesentlich mitverursacht von Elternhaus und Schule. Ein privater Handwerksmeister wie Joachim Krüger aus Prenzlau kann es sich eben nicht leisten, bestehende Defizite in Bildung oder Sozialverhalten auszugleichen. "Wir leben in einer Marktwirtschaft. Da geht es um Effizienz. Und wer da nicht reinpasst, hat keine Chance. Oder sind sie bereit, als Kunde 50 Euro mehr zu zahlen, falls der Lehrling regelmäßig eine Stunde zu spät zur Arbeit kommt?"
Natürlich kamen auch positive Ansätze zur Sprache: Projekte für junge Leute, besonders auch für Benachteiligte. Und politische Ideen -von der Wiedereinführung des Teilfacharbeiters bis hin zur Stärkung der Erziehungskompetenz in den Familien. Ob und wann das in Zeiten leerer Kassen umgesetzt wird, bleibt abzuwarten. Vielleicht ist es ja auch nur so, wie es Detlef Jäger von der Agentur für Lerninfrastruktur und Regionalentwicklung Berlin sagte: Die Politik traue sich nur noch nicht zu sagen, dass für bestimmte Dinge kein Geld mehr da sei. "Dann aber werden wir mit den Folgekosten leben müssen." Regina Schwendel und Timo Nietsch jedenfalls konnten am Ende der Diskussion nur einen Wunsch mit nach Hause nehmen: "Alles Gute für Ihren weiteren Weg!"
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 20.10.2004