Sehnsucht nach dem Einfachen
von Pater Damian Meyer OP
"Hat nun Gott die Welt in sechs Tagen erschaffen oder nicht?", fragte ein aufgebrachter Zuhörer nach einem Vortrag über biblische Schöpfungstheologie. Ich hatte versucht, den Unterschied zwischen Aussageform und -inhalt darzustellen und auf verschiedene literarische Formen hingewiesen. All diese Unterscheidungen waren diesem Mann zu kompliziert. Er wollte am einfachen und eindeutigen Glauben seiner Kindheit festhalten. Mich erinnert seine Haltung - die unter Christen weit verbreitet ist - an einen Witz: "Also, lieber Meister, was kostet die Reparatur des Stuhles?" - "Herr Professor, ick will jar keen Jeld haben. Se könnten mir bloß wat erklärn. Sehn Se mal, unsereener weeß doch nich so richtig Bescheid. Wie heest et nun eijentlich. Heest et mir oder mich?" - "Ja, lieber Meister, das kommt ganz darauf an. Also, wenn wir zum Beispiel nehmen..." - "Herr Doktor, wie ick seh, wissen Se et ooch nich. De Reparatur macht fuffzehn Mark."
Die heutige Welt ist komplex. Und je mehr Informationen, je mehr Daten uns zur Verfügung stehen, umso unübersichtlicher scheint die Realität. Viele "Tatsachen" scheinen sich in Interpretationen und Perspektiven aufzulösen. Je mehr Weltanschauungen, Denkformen, Religionen uns im Alltag begegnen und ihre klaren Konturen verlieren, desto mehr Menschen sehnen sich nach einfachen und klaren Grundsätzen und klammern sich dabei oft an - vermeintlich rettende - Formen und Formeln. So kommt es zu einem Fundamentalismus, nicht nur im religiösen, sondern auch im politischen, wirtschaftlichen, kulturellen Bereich.
Diejenigen, die im Religiösen auf Klarheit pochen und einfache Wahrheiten wollen, haben ein echtes Anliegen. Hat nicht Jesus selbst klar und deutlich und einfach gesprochen und gesagt: "Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder..."? Ohne die Haltung der kindlichen Offenheit und Aufnahmebereitschaft kann man nicht glauben. Insofern sind Christen einfältig. Aber das bedeutet nicht, dass das Christentum und der christliche Glaube einfach ist! Es bedarf der Anstrengung des Denkens. Man muss beweglich und lernbereit sein, darf nicht erstarren und sich zu rasch in Sicherheit wiegen. Der Christ ist als Pilger immer unterwegs und muss mit neuen Erfahrungen und Einsichten rechnen. Glaube ist nicht blindes Annehmen eines Unbegriffenen, er will sich im Medium der Vernunft ausdrücken. Aber er darf sich andererseits auch nicht in Erkenntnis auflösen und sich so überflüssig machen. "Natürlich kann auch das theologische Denken in staunender Negativität vor Gottes Geheimnissen verharren und wird es immer wieder tun ... Aber Gottes Unbegreiflichkeit ist nicht dasselbe wie Gottes Unbegriffenheit: Nur wer begreifen will, findet das Unbegreifliche, während der, der sich "fundamentalistisch" auf den "blinden Glauben" zurückzieht, die Annäherung abbricht" (Hans Maier).
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Samstag, 07.07.2001