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Aus der Region

Aufbruch aus der Nische

Tagung zur "Abschaffung der Religion in der DDR"

Eisleben (ps) -Das einst von der DDR-Regierung erzwungene Nischendasein der Christen sei 15 Jahre nach der Wende immer noch nicht überwunden und könne nur durch ökumenisches Miteinander aufgebrochen werden. Dies betonten Vertreter der evangelischen und katholischen Kirche bei einer Tagung zum Thema "Die Abschaffung der Religion in der DDR -eine bleibende ‚Errungenschaft' für Sachsen-Anhalt?". Zu der Veranstaltung hatten am 25. Oktober die Katholische und die Evangelische Erwachsenenbildung Sachsen-Anhalt gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung ins Kloster Helfta eingeladen.

Nicht nur niedrige Mitgliederzahlen der christlichen Kirchen hierzulande zeigen die Nachwirkungen der einst oktroyierten sozialistischen Ideologie. Lebendiges Beispiel ist auch die weiterhin praktizierte Jugendweihe. Der Bürgerrechtler Ehrhart Neubert schilderte in seinem Eingangsvortrag einen Fall aus der Gegenwart: Ein junger Christ nimmt als einziger aus seiner Klasse nicht an der Jugendweihe teil und wird von seinen Mitschülern deswegen gehänselt.

Vor gut gefülltem Saal sprach Neubert, der seit 1997 Mitarbeiter der Abteilung Bildung und Forschung bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR ist, über die Kirchenpolitik der SED. "Das kommunistische System sah in seiner eigenen Realisierung die Erfüllung des irdischen Glücks, womit jede weitere Heilssuche nicht nur überflüssig, sondern auch staatsfeindlich wurde." Mit Blick auf die Gegenwart wandte sich Neubert gegen die These von der unaufhaltsamen Säkularisierung. Er betonte, dass gerade Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse zu einer verstärkten Orientierungs- und Identitätssuche führen, an der die christlichen Kirchen ansetzen könnten.

Den Lebens- und Widerstandsweg des evangelischen Pfarrers Oskar Brüsewitz ließ Theologieprofessor Harald Schultze von der Universität Magdeburg Revue passieren. Als Zeichen des Protests gegen die Kinder- und Jugendpolitik der DDR hatte sich Brüsewitz im August 1976 in Zeitz verbrannt -ein Sonderfall in der DDR-Geschichte, der bis heute unterschiedlich bewertet wird und zwar sowohl im Hinblick auf das Mittel des Protestes als auch seine damalige Wirksamkeit. Dies machten nichtzuletzt Reaktionen aus dem Publikum deutlich. Der Dialog über die Bildungspolitik sei zwar von Seiten der Kirchen gesucht worden, aber ohne dass die Regierung darauf eingegangen wäre, so Schultze.

Lebensnahe Beispiele aus dem DDR-Alltag der katholischen Christen schilderte der Dessauer Propst Gerhard Nachtwei -vom Caritas-Kinderheim, das 1953 vom Staat geschlossen wurde, bis zum Jungen, der sich gegen die Jugendweihe entschied, "weil das doch alles gar nicht ehrlich gemeint ist, was man da geloben muss" und damit im Grunde die in der DDR unterdrückte Frage nach dem Gewissen ins Bewusstsein hob. "Es zählten nur Befehlsbefolgung oder -verweigerung, die Motivation spielte keine Rolle", so Nachtwei. Und: "Für die Christen waren die Rahmenbedingungen in der DDR eine starke Herausforderung, den Glauben bewusst zu leben."

Oberkirchenrat Albrecht Steinhäuser vom Evangelischen Büro Magdeburg und Dechant Ulrich Lieb aus Schönebeck zogen Bilanz für ihre jeweiligen heutigen evangelischen und katholischen Gemeinden. Sie berichteten nicht nur von den bekannten Problemen in der Diaspora, sondern zeigten auch hoffnungsvolle Aspekte auf -wie etwa das große ehrenamtliche Engagement. Mit Blick auf die Aufgaben der Kirche wies Lieb auf das im Sommer 2000 begonnene Pastorale Zukunftsgespräch (PZG) des Bistums Magdeburg hin. Unter dem Leitthema "Den Aufbruch wagen" zielt dieser Dialog darauf ab, den Auftrag der Kirche besser zu erfüllen.

Das abschließende Podium, auf dem neben Lieb und Schultze die Landtagsmitglieder Jens Bullerjahn (SPD) und Jürgen Scharf (CDU) diskutierten, lieferte vor inzwischen gelichteten Reihen nur wenig Erkenntnisse über "die künftige gesellschaftliche Bedeutung der christlichen Religion in Sachsen-Anhalt". Sie zeigte einmal mehr, dass die Gläubigen in Sachsen-Anhalt vor große Aufgaben gestellt sind, um die christliche Wertevermittlung im politisch-gesellschaftlichen Entscheidungsprozess stärker ins Spiel zu bringen.

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 54. Jahrgangs (im Jahr 2004).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Dienstag, 02.11.2004

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