Auf dem Weg
In Dresden erinnerten Christen an die Unterzeichnung der Erklärung zur Rechtfertigung vor fünf Jahre
Dresden (dw) -Mehr als 700 Christen zogen am Vorabend des Reformationsfestes hinter dem Taizékreuz der katholischen Pfarrei Zschachwitz durch die Dresdner Innenstadt, von der katholischen Kathedrale zur evangelischen Annenkirche. "Kirche auf dem Weg" lautete das Motto, mit dem evangelischlutherische und römisch-katholische Christen die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung ihrer Kirchen zur Rechtfertigungslehre vor fünf Jahren in Augsburg feierten.
Ohne dass das jemand so geplant hätte, wurde einiges von dem, was den Kirchen auf ihrem Weg zur Gemeinschaft im Glauben widerfährt, beim Gang durch die Straßen der Stadt anschaulich. Da preschte eine Gruppe anfangs im Breitensport-Tempo voraus, so dass andere Mühe hatten, nachzukommen. Schließlich wurde die Geschwindigkeit aprupt gebremst. Manchem wurde dabei die ungewollte Tuchfühlung mit der Nachbarschaft zu eng. Etliche hatten sich von vorneherein entschieden, den Weg gar nicht mitzugehen, sei es, um sich am Ziel einen gemütlichen Platz zu sichern, sei es, weil ihnen der Programmteil in ihrer eigenen Kirche vollkommen ausreichte oder aus welchen Gründen auch immer. Offensichtlich war, dass die Christen auf dem Weg durch die Öffentlichkeit nicht unbemerkt blieben. Der eine oder andere Passant zeigte sich provoziert, mancher auch nachdenklich.
Freude über das Erreichte steht im Mittelpunkt
"Auch wenn wir noch nicht am Ziel sind, haben wir doch allen Grund zur Freude, dass nach langem Schweigen, sehr langem Streit und nach jahrzehntelangen Bemühungen vor fünf Jahren ein Meilenstein erreicht wurde", sagte der evangelische Landesbischof Jochen Bohl während der Vesper zum Auftakt der Feierlichkeiten in der Kathedrale.
"Unser Land braucht Glaube, Hoffnung, Liebe"
"Wir haben einander die Hände gereicht und wollen sie nicht wieder loslassen", fügte er hinzu. "Die Einheit ist schon stärker, als wir es manchmal wahrnehmen", betonte Bischof Joachim Reinelt. Gemeinsame Aufgabe der Christen sei es, die zentrale christliche Botschaft, dass Gott die Menschen liebt und dass er dabei keinen ausschließen will, für alle Menschen im Land erfahrbar zu machen.
Es gebe in manchen Fragen noch Meinungsverschiedenheiten zwischen den beiden Kirchen, räumte Bischof Bohl ein. Er rief dazu auf, trotz mancher ungelöster Frage "die Wahrheit und Schönheit des christlichen Glaubens" immer vor Augen zu haben. "Unser Land hat nichts so nötig wie Glaube, Hoffnung und Liebe."
Künstlerischer Ausdruck der Anziehungskraft und Vielgestaltigkeit des christlichen Glaubens war der gemeinsame Auftritt der Dresdner Knabenchöre, der katholischen Kapellknaben und des evangelischen Kreuzchores. Sowohl die Andacht in der Hofkirche als auch den abschließenden Gottesdienst in der Annenkirche gestalteten 230 Sänger mit Motetten und Chorsätzen, die ein spirituelles Streiflicht durch mehrere Jahrhunderte boten.
Einheit braucht Zeit zum Wachsen
"Ich bin sehr froh darüber, was heute im ökumenischen Miteinander schon alles möglich ist", sagte Maruth Schorcht aus der St.-Paulus-Gemeinde in Dresden-Plauen nach der Veranstaltung. Sie gehörte zu den älteren Teilnehmern, die sich noch sehr gut an Zeiten erinnern können, in denen ein gemeinsamer Auftritt von Kreuzchor und Kapellknaben oder gemeinsam gesprochene Segensworte eines katholischen und eines evangelischen Bischofs völlig undenkbar waren. Dankbar ist sie auch für das gute ökumenische Verhältnis ihrer eigenen Gemeinde mit der evangelischen Zionsgemeinde. Dass es andernorts weniger gut läuft in der Ökumene, sieht sie mit Gelassenheit: "Was sich 450 Jahre lang auseinander gelebt hat, kann doch unmöglich innerhalb kürzester Zeit zusammen wachsen." Sie würde sich jedoch wünschen, wenn mehr Christen in ihrer Umgebung ökumenische Ereignisse wie die Unterzeichnung der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre wahrnehmen und sich davon motivieren lassen würden.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 04.11.2004