Eine Chance für die Diaspora
Referentin Beck ist für Religionsunterricht verantwortlich
Um in der massiven Diaspora-situation den schulischen Religionsunterricht abzusichern, werden ungewöhnliche Wege gegangen. In Weida, Neustadt (Orla), Greußen, Schlotheim und Bad Frankenhausen findet der Religionsunterricht so statt, dass die Kinder einmal im Monat samstags in der Gemeinde zu einem gemeinsamen Tag zusammenkommen. Eine weitere Stunde findet einmal monatlich an einem Werktag nachmittags statt. Der Tag des Herrn sprach mit Annegret Beck, Referentin in der Schulabteilung des Bischöflichen Ordinariats Erfurt.
Frage: Seit zwei Jahren gibt es in Weida, seit fünf Jahren in Neustadt (Orla) die Praxis des samstäglichen Religionsunterrichtes. Hat sich diese Form bewährt?
Frau Beck: Mit der Konzeption des Projekts begonnen haben wir 1996 im Blick auf die Auswirkungen der Geburtenrückgänge und Wegzüge. Inzwischen ist es vom Thüringer Kultusministerium als Projekt für schulischen Unterricht zugelassen. Ein Blick auf die Schüler zeigt den Gewinn: Katholische Kinder haben die Möglichkeit, sich überhaupt und jahrgangsübergreifend kennen zu lernen. Sie erfahren sich in der Minderheitssituation als Gemeinschaft von Christen, sie haben die Chance, lebensnah und altersgerecht mit dem Glauben vertraut zu werden. Nicht zuletzt bereichern die Gottesdienste, in die sie eingebunden sind, ihre liturgische Kompetenz. Und dieses "Gemisch" macht ihnen Spaß.
Frage: Wie ziehen die Kinder mit?
Frau Beck: Die Kinder könnten sich für die Samstagsgestaltung natürlich auch anderes vorstellen. Vor allem der Unterrichtsteil muss ihnen manchmal erst schmackhaft gemacht werden. Aber dann bringen sie plötzlich ihre nichtchristlichen Freunde mit, genießen das Spiel in der Gruppe und beteiligen sich gern an der Gestaltung des Gottesdienstes, vor allem, wenn sie selbst mittun können.
Frage: Das Ganze ist nicht ohne die Eltern möglich ...
Frau Beck: Hier liegt ein Knackpunkt für das Gelingen. Der Reli-Tag muss langfristig von der Familie eingeplant werden und "kostet" einen Familiensamstag. Dieser ist dann besonders kostbar, wenn ein Elternteil während der Woche aufgrund der Arbeitssituation auswärts ist. Deshalb ist die Zustimmung manchmal zögerlich. Dass die Kinder Religion, Kirche und Glauben erleben können und auf Dauer gern kommen oder besser ungern wieder gehen, bestärkt die Eltern in ihrer Entscheidung, zugestimmt zu haben.
Frage: Was wünschen Sie sich von den Eltern?
Frau Beck: Das langfristige Ziel, den Kindern eine mündige Glaubensentscheidung zu ermöglichen, kann durch den Unterrichtstag nur unterstützt und begleitet werden. In den Familien selbst braucht es eine Offenheit und Aufmerksamkeit für den christlichen Glauben. Deshalb ermutigen wir die Eltern, über Hausaufgaben der Kinder sowie an den vier Samstagen im Jahr, an denen sie zu einem Teil des Unterrichtstags selbst dazukommen, mit ihren Kindern über Leben und Glauben im Gespräch zu bleiben.
Frage: Welche Resonanz gibt es in den Gemeinden?
Frau Beck: Eine erstaunlich gute: Eltern und Gemeindemitglieder backen Kuchen, um den Abwasch muss sich niemand sorgen, teilweise unterstützen Jugendliche den Nachmittag und sind als Spielleiter beliebt.
Frage: Ist diese Form ein Modell für andere Regionen?
Frau Beck: Da muss man differenzieren. Wo aufgrund der Gruppenstärke wöchentlicher, vielleicht sogar zweistündiger Unterricht möglich ist, bietet er die Chance von mehr Kontinuität und dichterer Wissensvermittlung. Hier könnte das Modell begleitend, beispielsweise in besonderen Zeiten des Kirchenjahres, aufgegriffen werden. Wo sich allerdings die Diasporasituation so zugespitzt hat, dass Fahrzeiten die Unterrichtszeiten überflügeln und trotzdem nur Kleinstgruppen zusammenkommen, erweist sich das Projekt - die Unterstützung der Eltern vo-rausgesetzt - als durchaus tragfähig.
Fragen: Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 23.03.2001