"Abgestimmt wird über die Familie"
Der Leiter des Katholischen Büros, Stephan Rether, will beim Volksentscheid mit Nein stimmen
Am 23. Januar sind die wahlberechtigten Einwohner Sachsen- Anhalts zu einem Volksentscheid aufgerufen. Damit haben sie erstmals die Möglichkeit, unmittelbar über ein Gesetz abzustimmen. Im Mittelpunkt steht der vom "Bündnis für ein kinderund jugendfreundliches Sachsen- Anhalt" vorgelegte Entwurf über das "Gesetz zur Förderung, Betreuung und Bildung von Kindern in Kindertageseinrichtungen (KiBeG)". Aber es geht dabei um mehr als nur dieses Gesetz. Dieser Auffassung jedenfalls ist der Leiter des Katholischen Büros in Sachsen-Anhalt, Stephan Rether, der den Entscheid begrüßt, aber bei der Abstimmung mit "Nein" votieren wird. Der TAG DES HERRN sprach mit dem Beauftragten der Bischöfe für den Kontakt zur Landesregierung:
Frage: Herr Rether, warum werden Sie beim Volksbegehren mit Nein stimmen?
Rether: Unser zentrales gesellschaftliches Anliegen muss es sein, die Familien in unserem Land dabei zu unterstützen, ihr ureigenes Recht und ihre Pflicht wahrzunehmen, sich um ihre heranwachsenden Kinder zu kümmern. Insofern ist es nur zu begrüßen, wenn sich viele Menschen darüber Gedanken machen, wie eine gute Betreuung, Förderung und Bildung unserer Kinder vonstatten gehen kann. Die Initiatoren des Volksentscheids setzen bei der Verwirklichung dieses Anliegens auf die Ganztagsbetreuung der Kinder in Kindertagesstätten. Doch die erste Verantwortung für die Erziehung der Kinder haben, wie bereits erwähnt, die Eltern. Dies ist naturgegeben und steht auch in unserer Landesverfassung und im Grundgesetz. Und aus dieser Verantwortung, die zugleich ein Recht der Kinder ist, dürfen die Eltern nicht entlassen werden. Insofern ist das geltende Betreuungsgesetz eine Chance, sich wieder stärker auf die Bedeutung der Familie zu besinnen. Jedes Kind in unserem Land hat Anspruch auf einen Kindergartenplatz, jedenfalls auf einen Halbtagsplatz. So haben alle Kinder die Möglichkeit, an den Bildungsangeboten der Kitas teilzunehmen. Die andere Hälfte des Tages aber sollen sich die Eltern, die -sei es freiwillig oder weil sie arbeitslos sind -zu Hause sind, selbst um ihre Kinder kümmern. Hierin sehe ich keine Überforderung, zumal dem Land für ein umfangreicheres Angebot das Geld fehlt. Deshalb werde ich mit Nein stimmen.
Frage: Hintergrund für die Verabschiedung des geltenden Kinderbetreuungsgesetzes im Jahr 2003 waren die Finanzen und nicht das Anliegen, die Eltern an ihre Verantwortung zu erinnern ...
Rether: Das ist so. Doch es gilt angesichts überall knapper Mittel realistisch zu bleiben. Stimmt die Mehrheit beim Volksentscheid mit Ja, kommen nach Angaben der Landesregierung 40 Millionen Euro zusätzliche Belastung auf den Landesetat zu. Und auch die Kommunen und die Eltern werden wohl mehr Geld aufbringen müssen. Finanzen, die an anderer Stelle nötig gebraucht werden, zum Beispiel auch für Angebote der Familienbildung und -hilfe. Denn nehmen Eltern ihre Pflichten verantwortungsbewusst war, ist dies nicht hoch genug einzuschätzen. Es gilt, sie dabei flankierend etwa durch freiwillige Bildungsangebote zu unterstützen.
Frage: Spricht man mit Erzieherinnen, beklagen sie den in den Kitas geltenden Personalschlüssel, auf dessen Basis nicht wirklich gut pädagogisch zu arbeiten sei. Ist das angesichts der Pisa-Studie nicht ein Alarmsignal?
Rether: Diese Sorgen der Erzieherinnen habe ich auch wahrgenommen. Tatsächlich verbessert sich der Personalschlüssel aber auch nicht, wenn der Volksentscheid erfolgreich ist. Ich will nicht unbedingt von einem Alarmsignal sprechen, denn Bildung und Erziehung findet nicht nur im Kindergarten statt. Für mich erscheint es notwendig, gleichermaßen über andere zusätzliche Bildungsmöglichkeiten nachzudenken. Genau das versucht der christlichen Familienbund mit seiner dezentralen Familienbildung. Außerdem ist meines Erachtens ein erheblicher Teil der Eltern in der Lage, ihre Kinder gut zu erziehen.
Frage: Nach dem gültigen Gesetz haben Eltern, die voll berufstätig sind, das Recht auf einen Ganztagsplatz, Eltern, die arbeitslos sind, nicht. Für die, die Arbeit haben, werden also aus Steuermitteln Kitaplätze vorgehalten, für die, die durch Arbeitslosigkeit ohnehin finanziell benachteiligt sind, nicht ...
Rether: Das kann man so sehen, wenngleich Berufstätige auch Steuern zahlen. Ich warne aber davor, eine Neiddiskussion auch in den Kindergärten zu führen. Hierfür besteht für mich auch kein Anlass. Jedenfall dann nicht, wenn man den Eltern, die ihre Kinderbetreuung und -erziehung unmittelbar selber in die Hand nehmen, den notwendigen Respekt zollt. Zur Familie gibt es keine wirklichen Alternativen, auch zum Sozialgefüge der Familie nicht. In einer Zeit, in der die Sozialsysteme der Alters- , der Kranken- und der Arbeitslosenversorgung an Tragfähigkeit verlieren, in der es angesichts einer hohen Migration innerhalb Deutschlands eine Auflösung sozialer Netze gibt, ist es fatal, das Sozialsystem der möglichst auf Ehe gegründeten Familie immer mehr aufzugeben.
Frage: Die meisten der politisch Verantwortlichen engagieren sich dafür doch aber nicht wirklich ...
Rether: Die Familienpolitik ist vor allem wegen der geringen Geburtenzahlen, wegen der großen Zahl derer, die auf der Suche nach Arbeit unser Bundesland verlassen und wegen der dadurch prozentual steigenden Zahl von Senioren in den Blick gerückt. Ich würde mir wünschen, dass sie als gesellschaftliches Generalthema noch mehr begriffen wird. Familienpolitik muss ressortübergreifend verstanden werden. Sie muss Leitkriterium in der Sozialpolitik, aber etwa auch in der Wirtschaftspolitik und allen anderen politischen Feldern sein. Dafür gilt es nicht zuletzt in den Köpfen der Politiker ein angemessenes Bewusstsein zu schaffen, zumal es unübersehbar eine latente Sehnsucht nach familiärer Geborgenheit gibt.
Frage: Das beweisen auch entsprechende Umfragen ...
Rether: Wir brauchen die Familie als kleinste Einheit des Sozialgefüges. In der Familie werden wichtige Erfahrungen und lebensnotwendige Werte weitergegeben -eine Herausforderung für jedermann, insbesondere für uns als Christen in der Gesellschaft. So gesehen ist auch die bevorstehende Abstimmung, an der sich hoffentlich viele beteiligen, eine Chance, das Bewusstsein für Familie zu stärken.
Interview: Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 13.01.2005