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Bistum Dresden-Meißen

Ein Dienst für die Stadt

In Heidenau bereiten Christen die offizielle Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus vor

Pfarrer Michael Kleiner: engagiert sich für das Gedenken an die Opfer der Nationalsozialisten.

Heidenau (mh) -"Es ist ein Dienst, den wir Christen für unsere Mitbürger leisten. Und alle Menschen guten Willens sind eingeladen, sich zu beteiligen", sagt Dr. Michael Kleiner. Der katholische Pfarrer von Heidenau ist zurzeit mit einer Gruppe von katholischen und evangelischen Christen und Nichtchristen dabei, die offizielle Gedenkfeier der Stadt zum Tag für die Opfer des Nationalsozialismus vorzubereiten. Am Gedenktag, dem 27. Januar, sind alle Einwohner von Heidenau auf den Nordfriedhof dazu eingeladen. Mit etwa 150 Teilnehmern rechnet der Pfarrer.

Kleiner bereitet dieses Gedenken nicht zum ersten Mal vor: "Als der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1997 den Gedenktag einführte, fühlten sich auch die Verantwortlichen der Stadt Heidenau verpflichtet, eine Gedenkfeier zu veranstalten", berichtet er. Ein Grund dafür war auch, dass sich ganz in der Nähe von Heidenau eine KZ-Außenstelle befand und KZOpfer auf dem Nordfriedhof begraben sind. "Allerdings merkten die Verantwortlichen schnell, wie schwierig die Vorbereitung einer solchen Feier ist." Und weil es zwischen Bürgermeister und Pfarrer gute Kontakte gibt, wurde Michael Kleiner gebeten, für dieses erste Gedenken die Ansprache zu übernehmen.

Drei Jahre lang gab es dann keine Gedenkfeier mehr. Doch dem Bürgermeister blieb die Würdigung der NS-Opfer an diesem Tag stets ein wichtiges Anliegen. Im Jahr 2000 schließlich nahmen die Christen beider Konfessionen dieses Anliegen wieder auf. Pfarrer Kleiner: "Wir haben uns gesagt, wir übernehmen eine ,geistliche Dienstleistung' für die Menschen unserer Stadt -ganz im Sinne des Konzils, dass die Christen zum Dienst in der Welt auffordert."

Pfarrer Kleiner entwicklte eine Grundform für die Feier, die in jedem Jahr wiederholt wird: musikalische Umrahmung, Begrüßung durch den Bürgermeister, Vorstellung einer konkreten Person, die dem Nationalsozialismus zum Opfer gefallen ist, schweigender Gedenkweg von der Friedhofshalle zu den Opfergräbern und Niederlegen von Blumen. Wichtig ist Pfarrer Kleiner die Konzentration auf eine konkretes Opfer: "Die Lebensgeschichte eines Menschen macht das Unrecht des Nationalsozialismus deutlicher als ein Gedenken an Tausende anonyme Opfer."

Die Auswahl der Persönlichkeit liegt in jedem Jahr bei einer anderen Konfession oder Weltanschauungs- Gruppe, die im Vorbereitungskreis mitarbeitet. "Dabei spielt es keine Rolle, welche persönliche Weltanschauung diese Persönlichkeit vertrat: Opfer ist Opfer", betont Kleiner. Und so erinnerte das erste Gedenken an den jüdischen Dichter Paul Celan, im vergangenen Jahr stand ein Kommunist aus Heidenau, Fritz Grumpert, im Mittelpunkt. Und in diesem Jahr ist es ein katholischer Priester: Bernhard Wensch (siehe "Zur Person"). Wensch war Kaplan an der Dresdner Hofkirche und wurde 1944 im KZ Dachau ermordet. Zur Gedenkfeier eingeladen ist einer der letzten lebenden Zeitzeugen, Wenschs Mithäftling Pfarrer Hermann Scheipers, der Dachau überlebt hat. Vorgeschlagen wurde Wensch übrigens von evangelischen Christen.

Mit deutlich christlichen Elementen ist Pfarrer Kleiner bei der Gedenkfeier eher zurückhaltend. Dass sie aber vom christlichen Geist mitgetragen wird, ist für ihn wichtig: "Die Pfarrgemeindemitglieder, die am Gedenken teilnehmen, bitte ich, dieses mit stillem Gebet zu unterstützen." Und der Pfarrer ist überzeugt, dass das die Feier prägt. "Wir Christen können die aufgeschlossenen Bürger unserer Stadt an die Hand nehmen und sie so für die Kraft der Wirkung Gottes öffnen."

Dieser Ansatz macht es möglich, dass selbst PDS-Mitglieder regelmäßig teilnehmen. "Die PDS ist auch die einzige Gruppe, die unserem Aufruf gefolgt ist, sich an der Vorbereitung zu beteiligen", bedauert der Pfarrer. Denn eigenlich sind alle Parteien, Verbände, Vereine und Gruppen zum Mitmachen eingeladen.


ZUR PERSON: BERNHARD WENSCH

Bernhard Wensch wird am 7. Juli 1908 in Berlin geboren. Seine Familie siedelt 1918 nach Dresden über. Hier legt er 1927 das Abitur ab. Während der Zeit am Gymnasium wird Bernhard Wensch durch die katholische Jugendbewegung geprägt. In diesen Jahren reift die Entscheidung in ihm heran, den Priesterberuf zu ergreifen. Er studiert in Innsbruck Theologie und promoviert dort 1930. Dann kehrt er nach Sachsen zurück. Wensch tritt in das Priesterseminar des Bistums Meißen in Schmochtitz bei Bautzen ein. Am 17. März 1934 weiht ihn Bischof Petrus Legge zum Priester.

Die ersten Jahre seines Dienstes wirkt er als Kaplan in Kamenz. 1937 wird er Jugendseelsorger. Schwere Zeiten erfordern überzeugende Persönlichkeiten. Hellsichtig durchschaut Wensch die Propaganda der Nationalsozialisten. Standhaftigkeit im Glauben wird jetzt erforderlich. Es gilt, junge Menschen dazu zu befähigen, gegen den Strom zu schwimmen. Wenn die katholische Jugend Sachsens im Großen und Ganzen den inneren und äußeren Angriffen des Nationalsozialismus standgehalten hat, dann ist das zumeist sein Werk.

Die katholische Jugend verfasst Rundbriefe, in denen man vom Leben in den Gruppen berichtet und sich gegenseitig im Glauben bestärkt. Ein solcher Brief wird noch bei seiner Herstellung beschlagnahmt. Er wird auch der Grund für die Verhaftung.

Am 19. Mai 1941 erfolgt die Verhaftung. Wensch habe die Jugend gegen den Staat aufgehetzt, so lautet die Anklage. Sechs Monate wird Wensch Verhören unterzogen. Ohne Gerichtsverhandlung kommt er dann zunächst in das KZ Oranienburg. Schließlich wird er am 7. November 1941 in das KZ Dachau eingeliefert. Ein Mithäftling, Kaplan Hermann Scheipers, berichtet: "Er bleibt bei all dem Durcheinander, den Aufregungen, dem tollen Wirbel, den die SS manchmal inszeniert, immer ruhig und gefasst, froh und gesammelt. Ich habe den Eindruck, er betet dauernd."

Im Frühjahr 1942 bricht für die Häftlinge in Dachau eine schwere Zeit an. Der neue Lageführer hat es besonders auf die "Pfaffen" abgesehen. Kurze Zeit darauf erleidet Hermann Scheipers einen Schwächeanfall und kommt auf den gefürchteten Invalidenblock. Scheipers: "Aber heimlich bringt mir Dr. Wensch unter Lebensgefahr das Brot des Lebens, den Herrn im Heiligen Sakrament."

Als Hungertyphus und Ruhr ausbrechen, trifft es auch Bernhard Wensch. Ihm bleibt nur ein Mittel dagegen: eine mehrtägige Hungerkur. Mit größter Energie und Willenskraft tritt er die Fastenkur an. Fröhlich verschenkt er sein Essen. Scheipers: "Eines Abends kam Wensch heimlich in der Dunkelheit an den Stacheldraht des Invalidenblocks und brachte mir das Kostbarste, das er verschenken konnte -seine Brotration für den Tag. Er schenkte damit buchstäblich sich selbst. Denn wenige Tage darauf kam er selbst ins Krankenrevier. Nie kann ich diese Tat reiner Liebe vergessen. Sie steht für mich in direktem Zusammenhang mit dem, was Christus für uns tat in seiner Hingabe in den Tod." Nach drei Tagen stirbt Wensch am 15. August 1942 im Konzentrationslager Dachau.

(zusammengestellt aus dem Material der Gedenkfeier)

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 3 des 55. Jahrgangs (im Jahr 2005).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Montag, 14.03.2005

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