Gemeinden im Aufbruch
Probleme des kirchlichen Strukturwandels
Markkleeberg / Böhlen - Neue Strukturen im Bistum -für viele Gläubige sind sie mit schmerzlichen Einschnitten verbunden. Pfarrer Thomas Körner hat Erfahrung mit den hochkochenden oder vor sich hinschwelenden Emotionen, die oftmals die Folge sind.
Ein Beispiel aus dem Südraum von Leipzig: Seit 1996 wohnt in der Christus-König-Gemeinde in Böhlen der Pfarrer nicht mehr vor Ort. Im Jahr 2002 verlor Böhlen den kirchenrechtlichen Titel Pfarrei. Für viele Veranstaltungen, die früher in den eigenen Räumen stattfanden, müssen sich die Gemeindemitglieder heute erst ins Auto setzen -der kirchliche Strukturwandel gestaltete sich aus Böhlener Sicht stets als "Sichzurück- nehmen-müssen".
Als die Christus-König-Gemeinde vor drei Jahren mit der Nachbargemeinde St. Peter und Paul Markkleeberg zusammengelegt wurde, blickte Pfarrer Thomas Körner dennoch mit Zuversicht auf die bevorstehende Phase des Zusammen-Wachsens. In beiden Gemeinden gab es starke Kräfte, die das Zusammengehen mit den Nachbarn als positive Herausforderung annahmen.
Mittlerweile sieht der Pfarrer das Projekt Gemeindezusammenlegung weitaus nüchterner. Wie weh es tun kann, etwas über Jahre Gewachsenes wie zum Beispiel die regelmäßige Gottesdienstpraxis aufgeben zu müssen, wurde ihm erst allmählich bewusst. Die Gottesdienstzeiten sind immer wieder ein Thema. "Gemeinden denken da in sehr langen Zeiträumen", hat Thomas Körner beobachtet. "Vielen ist die Zeit vor zehn, fünfzehn Jahren präsent. Sie leben von dem, was sie in ihrer Jugend erlebt haben oder in den Jahren, als ihre Kinder noch klein waren."
In einigen Bereichen ist Gemeinsamkeit der beiden Gemeinden rein organisatorisch schlicht unmöglich: Für eine gemeinsame Karfreitags- oder Osternachtsliturgie etwa würde der Platz in keinem der beiden Gotteshäuser ausreichen. An diesen Hochfesten ist der Pfarrer immer auf Priester angewiesen, die ihn in der kleineren Gemeinde Böhlen vertreten.
Auf gemeinsame Veranstaltungen wie das Faschingsfest konnte man sich angesichts der kleinen Teilnehmerzahl in beiden Orten schnell einigen, angenommen werden sie trotzdem nicht von allen. Manche haben das Bedürfnis, für sich zu sein und bleiben lieber zu Hause als etwas mit den "Fremden" zusammen zu machen. Der Pfarrgemeinderat einigte sich ebenso wie der Kirchenrat nach langen Verhandlungen darauf, wechselweise in Böhlen und Markkleeberg zu tagen.
Zur alltäglichen Selbstverständlichkeit geworden ist das Miteinander hier nach Einschätzung des Pfarrers aber noch lange nicht. Er freut sich über den sensiblen Umgang des Pfarrgemeinderatsvorsitzenden Werner Elsner mit der Situation: "Er bemüht sich immer, die Anliegen beider Gemeinden im Blick zu haben und nimmt an den Veranstaltungen in beiden Orten teil."
Die Jugend trifft sich seit einiger Zeit in Markkleeberg, da die Gemeinde dort insbesondere von den Zuzüglern in Baugebieten profitiert, während Böhlen derzeit nur wenige Jugendliche hat. Bei den Senioren hingegen gibt es nur einmal im Jahr eine gemeinsame Veranstaltung.
Für Pfarrer Körner ist es wichtig, einerseits immer wieder für das Zusammenwachsen der Nachbarn zu werben, andererseits aber auch die Realität wahrzunehmen, vorhandene Verletzungen ernst zu nehmen, anstatt mit einem beschwichtigenden "Na, nun haben Sie sich mal nicht so!" darüber hinwegzugehen. Er fände es wünschenswert, wenn Priester bereits in ihrer Ausbildung gezielt darauf vorbereitet würden, die Folgen verordneter Einschnitte seelsorglich zu verarbeiten.
Hilfreich wäre es in seinen Augen darüber hinaus, wenn Gemeinden schneller Klarheit über ihre Zukunft bekämen. Die Verunsicherung sei für zukunftsweisende Aktivitäten vieler Gemeinden ein Hemmnis. "Oft schwebt die drohende Schließung jahrelang über ihnen wie ein Damoklesschwert."
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 08.04.2005