Keine Torschlusspanik
Ein Beitrag von Pater Damian Meyer
Die Redewendung vom Torschluss geht auf die Zeit zurück, als Städte von Mauern umgeben waren und abends die Stadttore geschlossen wurden. Wer zu spät kam, konnte oft nicht mehr in die Stadt hineinkommen. Manche Menschen geraten in Torschlusspanik, wenn sie Angst haben, die letzte Chance zu verpassen, den Anschluss zu versäumen. In unserem von Terminen und letzten Fristen ("deadlines") geprägten Alltag kommt es nicht selten vor, dass wir unter dem Druck einer fristgemäß zu vollendenden Aufgabe ins Schwitzen geraten. Es soll auch vorkommen, dass Menschen reiferen Alters in einer Art Torschlusspanik übereilt heiraten, weil sie die Chancen in der Jugendzeit verpasst haben.
Wie steht es mit unserem Leben als Christen? Gibt es nicht auch hier eine gewisse Torschlusspanik, wenn wir zum Beispiel sehen, dass Christen im Alter recht fromm und eifrig in der Erfüllung ihrer religiösen "Pflichten" werden, während sie lange Jahre sehr locker und ohne ausdrückliche religiöse Praxis gelebt haben? Ich spreche nicht von Menschen, die eine echte Umkehr, eine Bekehrung erlebt haben, sondern von solchen, die aus purer Angst vor dem strengen Richtergott fromm werden. Geben uns manche Aussagen im Neuen Testament nicht auch Anlass zu einer Torschlusspanik? Ich denke an folgende Jesusworte:
"Viele sind berufen, aber nur wenige auserwählt" (Mt 22,14). Oder: "Geht durch das enge Tor! Denn das Tor ist weit, das ins Verderben führt, und der Weg dahin ist breit, und viele gehen auf ihm. Aber das Tor, das zum Leben führt, ist eng, und der Weg dahin schmal, und nur wenige finden ihn" (Mt 7,13-14). In antithetischer Form werden hier zwei Sachverhalte in äußerster Zuspitzung gegenübergestellt. Handelt es sich überhaupt um objektiv dargestellte Sachverhalte? Objektive Aussagen werden aber doch nicht in solchen überspitzten Bildern und Antithesen dargestellt!
Wenn wir diese Aussagen als Informationen verstehen würden, müssten wir an dem gütigen Gott, "der will, dass alle Menschen gerettet werden" (l Tim 2,4), verzweifeln. "Jesus will seine Hörer mit dem fürchtbaren Wort: ,nur wenige werden gerettet werden' nicht zur Verzweiflung führen und zurückstoßen, sondern aufrütteln und zur Umkehr führen. Er will ihnen gerade sagen: Lasst euch nicht vergeblich berufen! Kehrt um und tut alles, damit ihr zu den Auserwählten gehört! Das Wort Mt 22,14 hat also keinen informativen, sondern prophetischen Charakter, es macht keine statistische Aussage über das Mengenverhältnis der Geretteten zu den Verlorenen, sondern es will die Zuhörer erschüttern und aus ihrer gefährlichen Gleichgültigkeit herausreißen" (Gerhard Lohfink). Wer die frohe Botschaft von Ostern vernommen hat, muss sich mit Karl Rahner fragen: "Wo ist bei uns Christen jene unbegreifliche Heiterkeit, die denen doch eigen ist, die überwunden haben, die wissen, dass das Tor zur unendlichen Zukunft nie mehr zufallen kann?"
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 08.04.2005