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Aus der Region

Zermahlen vom Nationalismus

Vortrag in Leipzig: Der Völkermord der Türken an den Armenier sollte endlich anerkannt werden

Leipzig - Sie kommen aus dem Libanon, aus dem Iran und aus Deutschland. Sie alle sind Armenier, die seit dem millionenfachen Mord an ihrem Volk in der Zerstreuung leben. In Leipzig erinnerten sie gemeinsam an ihre Heimat in der Osttürkei und an ihre Vertreibung vor 90 Jahren. So auch in der Kapelle St. Hedwig.

"Die Opfer sollen als Opfer anerkannt werden", forderte der Theologe Ischchan Tschiftdschjan in seinem Vortrag, den er aus Anlass des 90. Jahrestages des Völkermords am armenischen Volk in Leipzig hielt. Tschiftdschjan ist Nachkomme einer armenischen Familie aus der Osttürkei, die nur durch Zufall und mit Hilfe eines muslimischen Geistlichen das damalige Morden überlebte. Heute wird er nicht müde dafür einzutreten, dass von türkischer Seite der Völkermord anerkannt wird, den Eli Wiesel einst den "Holocaust vor dem Holocaust" nannte. Es waren, so Ischchan Tschiftdschjan weiter, keinen Übergriffe sondern ein bewusst geplanter Mord der Türken an den Armeniern, die seit Jahrhunderten in der heutigen Osttürkei ansässig waren.

Die politische Situation im zerfallenden Osmanischen Reich war um das Jahr 1915 von der so genannten Jungtürkischen Bewegung geprägt, eine politische Gruppe, die im Jahr 1908 durch Putsch die Macht übernahm. Ideologische Hintergründe der Jungtürken waren zum einen der Turkismus, eine nationale Bewegung, die eine Türkei nur für Türken anstrebte. Daneben gab es den Turanismus, benannt nach dem mittelasiatischen Tiefl and von Turan. Die Anhänger des Turanismus forderten eine staatliche Einheit aller Turkvölker. Das hätte ein Riesenreich vom Balkan über Zentralasien bis hinein nach China und Sibirien ergeben. In diesem "türkischen Volksgebiet" war natürlich kein Platz für andere Völker vorgesehen, egal wie lange sie dort gemeinsam oder noch vor der Turk-Völkern lebten.

Der Völkermord an den Armeniern geschah im Zeichen dieser extrem nationalistischen Ideologie. Nach ersten Morden in Istambul am 24. April 1915 wurden bis zum Ende des Ersten Weltkrieges zirka 1,5 Millionen armenische Kinder, Frauen und Männer ermordet. Dabei hatte das jungtürkische Regime kaum mit Protesten zu rechnen. Nachrichten verbreiteten sich langsamer aus als heute und die restliche Welt steckte mitten im Ersten Weltkrieg.

Heute setzen sich Menschen wie Ischchan Tschiftdschjan dafür ein, dass der Völkermord an einem der ältesten christlichen Völker nicht vergessen wird. Ihnen geht es dabei nicht um Vergeltung sondern um Versöhnung, ähnlich wie es nach dem Zweiten Weltkrieg in Europa und im Verhältnis Israel-Deutschland gelungen ist. Daher fordern er und seine Landsleute zuerst die Anerkennung des Verbrechens durch den heutigen türkischen Staat. Damit verbunden müsse die Anerkennung der Armenier in der Türkei als ein Volk sein, das seine Kultur und seine Sprache frei pfl egen darf. Heute sei es jedoch leider so, dass die armenische Kultur in der Türkei weitestgehend verdrängt wird. Ein Verdrängen, das sich auch im Tourismus zeigt. Besucher der Osttürkei erfahren derzeit nichts über die Menschen, die hier einst lebten und die Region mit ihrer Kultur prägten.


Veranstaltungen in Leipzig:
Friedensgebet am 25. April um 17 Uhr in der Nikolaikirche
Vortrag am 27. April in der Ev. Bethaniengemeinde, Stieglitzstr. 42.
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 16 des 55. Jahrgangs (im Jahr 2005).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 21.04.2005

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