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Bistum Magdeburg

"Wir haben ein dickes Problem"

Zu wenig Kinder in Deutschland -Podiumsdiskussion in Halle und in Magdeburg

Halle/Magdeburg - ",Kindersegen -Hoffnung für das Leben', mit Kindern ein neuer Aufbruch" waren im April je eine Veranstaltung in Halle und in Magdeburg anlässlich der Woche für das Leben überschrieben.

"Ohne Kinder gibt es keine Zukunft. -Hier hat unsere Gesellschaft ein dickes Problem." Mit dieser nicht neuen, aber noch immer gesellschaftlich nicht ernstlich zur Kenntnis genommenen Aussage brachte der Initiator der Stiftung Netzwerk Leben und emeritierte Bischof Leo Nowak die Situation in Deutschland auf den Punkt. Nowak erinnerte daran, dass Kinder bei den verschiedenen Völkern immer als Reichtum gesehen wurden. Zwar habe diese Sicht stets im Kontext der Absicherung im Alter gestanden. "Immer haben die Menschen aber auch gespürt, dass Kinder zu haben Lebensglück bedeutet", so der 76- jährige Bischof. Und: "Es macht mich traurig, dass unsere Gesellschaft dabei ist zu vergreisen." Vom Verstand her sei den meisten Deutschen klar, dass Leben das kostbarste Gut ist, vom Lebensgefühl her aber nicht mehr. Wenn dies so bleibe, "kann das nur mit einer Katastrophe enden".

Wenn Paare sich heute für Kinder entscheiden, dann auf jeden Fall nur für wenige, so der Altbischof, wobei er die mit Kindern verbundenen "unwahrscheinlichen Herausforderungen" nicht klein reden wolle. "Verräterisch" findet er aber etwa die Sprache. "Wir können uns kein Kind mehr leisten", heiße es nicht selten. Oder: "Wir haben ein Kind gemacht." -"Ob wir mit dieser Wortwahl dem Leben gerecht werden, sei dahin gestellt", sagt Nowak. Seine Eltern hätten noch davon gesprochen: "Gott hat uns ein Kind geschenkt" und damit womöglich die Wirklichkeit besser getroffen.

Kinder würden heute von Eltern schnell als Einengung und Belastung empfunden. Nötig sei aber eine "Entschiedenheit für das Leben, für Kinder, mit allen Konsequenzen". Dies bedeute aber auch, dass die Gesellschaft jungen Eltern behilflich sein muss, ihre Aufgaben wahrzunehmen. "Junge Eltern dürfen nicht allein gelassen werden, wenn sie etwa Familie und Beruf in Einklang zu bringen versuchen", so der emeritierte Bischof. Besonders auch die christlichen Gemeinden seien hier gefordert. Nowak: "Vielleicht liegt hier ein Schwerpunkt christlicher Überzeugung überhaupt, das Ja zum Leben."

Zahlreiche Frauen bleiben kinderlos

Mit einer Reihe weniger bekannter Fakten aus wissenschaftlichen Untersuchungen bereicherte Ines Brock, Kinder- und Jugend- -Psychotherapeutin, Mutter von vier Kindern und Familienpolitikerin bei Bündnis 90 / Grüne die Diskussion. So reduziere sich die Vielfalt der Familienbeziehungen immer mehr, da es kaum noch Geschwisterkinder und folglich immer weniger Tanten, Onkel, Cousins ... gebe. Zahlreiche Eltern seien in Sachen Erziehung hilflos, Beratungsstellen immer mehr gefragt.

64 Prozent der 30- bis 35- jährigen Akademikerinnen seien kinderlos, 40 Prozent von ihnen blieben es auf Dauer. 63,7 Prozent der Bevölkerung leben nach Angaben von Frau Brock nicht mit Kindern zusammen. In 11,7 Prozent der Familien leben drei und mehr Kinder, in vielen Familien also nur ein Kind.

Immer notwendiger: Familienbildung

Angesichts dieser ernüchternden Tatsachen betonte Frau Brock, wie wichtig Geschwisterbeziehungen sind, da durch sie "solidarisches Beziehungswissen" entwickelt werde, sich Geschwister gegenseitig erziehen und viel voneinander lernen. Zudem sind Geschwisterbeziehungen die am längsten dauernden verwandtschaftlichen Beziehungen, die Menschen haben.

Weil Kinder oft keine Geschwister mehr haben, seien Kindertagesstätten und Schulen wichtige "Lehrstätten für die Beziehung" zu Altersgenossen. Weil es immer weniger gesunde Familienstrukturen gebe, seien Angebote der Familienbildung dringend erforderlich, und zwar integriert in Schulen und Kindertagesstätten genauso wie als aufsuchende Familienbildungsangebote, in Form von Familienbegleiterinnen oder durch das Angebot von Veranstaltungen. Familienbildung bedeute dabei die "Vernetzung" unterschiedlichster Kompetenzen und Möglichkeiten. Hier brauche es dringend einen "Professionalisierungsschub auch Richtung Prävention". Leider seien die erforderlichen Angebote schwer zu finanzieren, "weil deren Effekt nicht so schnell nachzuweisen ist, wie man sich das wünscht", sagte Frau Brock. Andererseits wäre dadurch manches an "Nachsorge" im Sozialbereich nicht nötig, was erhebliche Kosten sparen würde.

Von den Problemen heutiger Eltern angesichts der Aufhebung der spezifischen Geschlechterrollen im Familienleben berichtete Beraterin Sigrun Korger in Magdeburg. "Eltern, die nicht mehr in traditionellen Rollenbildern leben, müssen vieles miteinander und immer wieder aushandeln".

"Das Pflänzchen Liebe nähren"

Wichtig sei gute Kommunikation zwischen den Partnern, etwa auch bei einem regelmäßigen Abend miteinander, bei dem jeder dem anderen zuhört, zusammenfasst, was er von den Anliegen des anderen verstanden hat ... Genauso wichtig sei es aber auch, sich als Paar gegenseitig Freiräume zu lassen, Unterstützungsangebote von außen anzunehmen, Kontakt zur Nachbarschaft zu pflegen, etwa auch deshalb, um im Notfall nicht völlig fremd zu sein. Zudem gelte es für die Paare, Auseinandersetzungen nicht zu scheuen und das "Pflänzchen Liebe immer wieder zu nähren".

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 19 des 55. Jahrgangs (im Jahr 2005).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 15.05.2005

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