Kinderwagen oder Kraftwagen?
Ministerpräsident Böhmer eröffnet Kreuzganggespräche zur Bevölkerungsentwicklung in Deutschland
Erfurt - Die Bevölkerungszahl in Deutschland sinkt. Und das Durchschnittsalter der Einwohner steigt. Für die Gesellschaft wird das gravierende Veränderungen haben. Die Erfurter Kreuzganggespräche widmen sich in diesem Jahr deshalb diesem Thema.
"Wir werden uns in Deutschland für die nächsten Jahrzehnte auf eine weiter sinkende Bevölkerungszahl einstellen müssen. Und das wird fast alle Bereiche menschlichen Zusammenlebens berühren", sagt Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU). Anlass war der Auftakt der Erfurter Kreuzganggespräche von Katholischer Fakultät und Katholischen Forum. In diesem Jahr stehen sie unter dem Thema "Ehre deinen Vater und deine Mutter -die demografische Entwicklung als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft".
Neu ist die problematische Bevölkerungsentwicklung nicht. "Seit Anfang der 90er Jahre ist das bekannt", sagt Böhmer. "Aber keine Partei hat bisher eine überzeugende Lösung gefunden." Die eingeschlagenen Reformen seien allenfalls erste Schritte im Rahmen der notwendigen langfristigen Umstellungen der Sozialversicherungssysteme. Dass die Lage in den neuen Ländern durch die Abwanderungen Richtung Westen noch einmal problematischer ist, spielt für Böhmer dabei keine besondere Rolle, denn: "Die Schere zwischen Abwanderung und Zuwanderung wird inzwischen deutlich kleiner."
Eine Änderung des Trends in der Bevölkerungsentwicklung könnten nicht allein die Politiker herbeiführen, machte Böhmer deutlich, denn in Deutschland müssen wieder mehr Kinder geboren werden. Zwar sei eine bessere Familienpolitik eine Voraussetzung dafür. Aber der Diskussion um Kinder als Armutsrisiko könne nicht nur politisch begegnet werden. Die entscheidende Frage für junge Eltern in Sachsen-Anhalt sei die nach der Sicherheit der persönlichen Lebensperspektive, und das heißt vor allem: nach der Sicherheit des Arbeitplatzes.
"Die ganze Gesellschaft ist gefragt, Wertmaßstäbe menschlichen Zusammenlebens wieder deutlich zu machen und nicht alles auf ökonomische Parameter zu reduzieren", forderte Böhmer. Das gelte auch mit Blick auf die Zahl der Single-Haushalte, die sich in Sachsen-Anhalt in den letzten 20 Jahren verdoppelt hat und heute bei über einem Drittel aller Haushalte liege. Das Single- Dasein als "individuelles Defizit" deutlich zu machen, sei Aufgabe der Gesellschaft, die sich daran messen lasse solle, wie viele Kinderwagen und nicht wie viele Kraftwagen auf der Straße zu sehen sind, zitierte Böhmer den 1978 gestorbenen Kölner Kardinal Josef Frings.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 19.05.2005