Liebe die Fremden!
Ein Beitrag von Pater Damian Meyer
Der humane Umgang mit Ausländern, mit Flüchtlingen und Asylanten -mit Fremden -bleibt eine dauernde Herausforderung für den Einzelnen und für die Gesellschaft als ganze. Mehr als der allgemeine Appell an die christliche Nächstenliebe kann hier das Beispiel des alten Israel konkrete Anweisung sein. Es ist erstaunlich, wie die alten Texte der Thora, des mosaischen Gesetzes, sich deutlich für den Schutz und die Rechte der Fremden im Lande aussprechen. So heißt es im Buch Levitikus (19,33f): "Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten, und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, dein Gott."
Lange bevor man das Wort "Integration" kannte und bevor die Politiker es zerredeten, geht es hier um Gleichberechtigung und Gleichbehandlung: "Einen Fremden sollst du nicht ausnutzen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen" (aus dem Buch Exodus 22,20). Die Unterstützung der Armen und Fremden wird an einem Beispiel erläutert: "Wenn ihr die Ernte eures Landes einbringt, sollst du dein Feld nicht bis zum äußersten Rand abernten und keine Nachlese deiner Ernte halten. Du sollst das dem Armen und Fremden überlassen. Ich bin der Herr, dein Gott" (Levitikus 19,9).
Die Israeliten werden auch aufgefordert, die Fremden an ihrem fröhlichen Fest, dem Laubhüttenfest, teilnehmen zu lassen: "Das Laubhüttenfest sollst du sieben Tage lang feiern ... Du sollst an deinem Fest fröhlich sein, du, dein Sohn und deine Tochter, dein Sklave und deine Sklavin, die Leviten und die Fremden, Waisen und Witwen, die in deinen Stadtbereichen wohnen" (Deuteronomium 16,13f). Man weiß damals schon, dass "Integration" Anpassung von beiden Seiten bedeutet und Grenzen und Bedingungen hat. So fordert das Gesetz für die Teilnahme am Paschamahl: "Lebt bei dir jemand als Fremder, der das Pascha zur Ehre des Herrn feiern will, so muss er alle männlichen Angehörigen beschneiden lassen; dann darf er sich am Pascha beteiligen. Er gilt wie ein Einheimischer; doch kein Unbeschnittener darf davon essen" (Exodus 12,28). Für unsere kirchliche Praxis gilt ja auch, dass kein Ungetaufter zum Empfang der Eucharistie zugelassen werden soll.
Ich will die Weisungen des Ersten Testaments nicht idealisieren. In Israel gab es ja auch die Praxis der Sklavenhaltung, die dann bis tief in die christliche Zeit üblich war. Es ist jedenfalls höchste Zeit, sich von dem immer noch weit verbreiteten Vorurteil zu befreien, der Gott des Alten Testaments sei ein Gott der Gewalt und Rache, während der Gott Jesu im Gegensatz dazu ein Gott der Barmherzigkeit und Nächstenliebe sei.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 19.05.2005