Christen in der Politik
Ein Gespräch mit Sachsen-Anhalts Landtagspräsident Spotka
Christen sind gefordert, sich für ihre Mitmenschen zu engagieren. Dies gilt nicht zuletzt in der Politik. Doch ist es im politischen Alltag überhaupt möglich, christliche Grundsätze und Ziele zu verwirklichen? Der Tag des Herrn sprach mit Sachsen-Anhalts Landtagspräsident Adolf Spotka.
- Herr Landtagspräsident, ist es heute möglich, bewusst aus christlicher Grundhaltung ein politisches Mandat wahrzunehmen?
Von einem Landtagspräsidenten wird Orientierung, also auch ethische Richtungsweisung erwartet. Der Bedarf dafür ist in unserer Zeit der Beliebigkeit und verbreiteten Orientierungslosigkeit eher größer als kleiner. Wo es Angriffe auf die Grundwerte gibt, ist besonders auch der Landtagspräsident gefordert, diese zu verteidigen, etwa, als am 15. Januar Rechtsextremisten hier auf dem Magdeburger Domplatz standen und die Bombardierung der Stadt vor 60 Jahren für ihre Zwecke zu missbrauchen versuchten.
- Sie haben gerade mit Ministerpräsident Wolfgang Böhmer die Schirmherrschaft über das Netzwerk für Demokratie und Toleranz in Sachsen-Anhalt übernommen..
Auch die Übernahme einer solchen Schirmherrschaft dient diesem Ziel. Durch die Vernetzung vorhandener zivilgesellschaftlicher Initiativen für Demokratie und gegen Fremdenfeindlichkeit wollen wir diejenigen stärken, die sich für die – auf dem christlichen Menschenbild fußenden – Grundwerte unseres Zusammenlebens einsetzen.
- Zurück zur Eingangsfrage: Ist es dem normalen Landtagsabgeordneten oder Lokalpolitiker möglich, christliche Überzeugungen etwa im Blick auf die Familie umzusetzen?
Bei aller Entkirchlichung und Entkonfessionalisierung ist es nach wie vor das christliche Menschenbild und die darauf basierende Menschenwürde, auf die sich alle Demokraten verständigen können. In der Alltagspolitik ist dieses Menschenbild das steuernde Motiv bei der Formulierung politischer Prioritäten, das immer wahrnehmbar ist. Ich nenne ein Beispiel aus meiner Partei, der CDU: Wenn wir uns engagiert für ein Familienfördergesetz und damit für die Beseitigung struktureller Rücksichtslosigkeiten gegen Familien einsetzen, so basiert dies auf diesem Menschenbild. Wir sperren uns damit gegen eine totale Ökonomisierung des Lebens.
- Aber wird nicht gerade an diesem Gesetzentwurf, der zum Beispiel für den Familienbund in Sachsen-Anhalt nicht mehr als eine Gutwill-Erklärung ist, deutlich, wie begrenzt christliche Vorstellungen umsetzbar sind?
Politik muss sich an das Machbare halten. Der Entwurf orientiert sich an den fiskalpolitischen, also finanziellen Zwängen, zumal ein Familienfördergesetz ein Leistungsgesetz sein muss. Dass die Landesregierung dieses Gesetz dennoch auf den Weg bringt, zeigt, welchen hohen Stellenwert sie der Familie beimisst. Das angestrebte Gesetz steht für eine Richtungsentscheidung und eine Vision, der es sich anzunähern gilt. Politik braucht ein Bild vom Menschen, auf das hin sich alles ausrichten muss. Dieses Bildes gilt es sich im Glauben regelmäßig zu vergewissern. Dies kann gelingen, in dem sich der Christ im Raum der Kirche immer wieder neu dem identitätsstiftenden Kern des Glaubens annähert. Im politischen Alltag müssen dann bei anstehenden Entscheidungen zugleich die Sachzusammenhänge beachtet werden. Politiker sind immer versucht, vermeintlichen Mehrheitsströmungen nachzulaufen. Auch um dieser Versuchung zu widerstehen, ist eine Rückbindung an den Glauben von großer Bedeutung.
- Beim ökumenischen Empfang der Kirchen in Magdeburg haben Sie kürzlich ein sehr nüchternes Bild unserer gesellschaftlich- sozialen Situation skizziert. Wofür muss sich ein Politiker, der Christ ist, besonders einsetzen?
Wir müssen unbedingt zu mehr politischer Weitsicht übergehen und die Interessen der nachfolgenden Generationen im Blick haben. Das haben die verschiedenen Parteien theoretisch auch längst erkannt und entsprechende Zukunftspapiere entwickelt. Doch diese haben kaum Auswirkungen auf die aktuelle Politik, weil die Verantwortlichen befürchten, abgewählt zu werden.
Politiker neigen dazu, Optimismus auszustrahlen und sich einer unbequemen Wirklichkeit zu verweigern. Wir brauchen aber mehr Mut zur Wahrheit und mehr Mut, den Bürgern die Wahrheit zuzumuten. Und dies unabhängig von Wahlperioden. Allerdings muss man zugunsten der Politiker kritisch sagen: Die Bürger strafen bei Wahlen sehr schnell die Mandatsträger ab, wenn sie Reformen im Sinne einer nachhaltigen Politik in den Blick nehmen. Reformen, die vor allem dem Prinzip der Schmerzvermeidung gehorchen, werden aber wirkungslos bleiben. Hier sind nicht zuletzt auch christliche Wähler gefordert, verantwortungsbewusst zu entscheiden.
- Wie weit kann der einzelne Mandatsträger nach seinem Gewissen agieren und entscheiden?
Um als Fraktion oder Koalition etwas zu bewegen, gilt es, sich auf zum Teil hart erstrittene Kompromisse einzulassen. Es gibt aber auch Grundsatzdebatten wie etwa die jüngsten Diskussionen um die Abschaffung von Feiertagen oder um die Sonntagsarbeit, bei denen das christliche Werteverständnis unmittelbar tangiert wird. Hier muss jeder nach seinem Gewissen entscheiden dürfen.
- Noch einmal zu Ihrem Wort beim ökumenischen Empfang der Kirchen, bei dem Sie die wirtschaftlich-soziale Perspektive für Deutschland – vorsichtig gesagt – nicht rosig eingeschätzt haben. Deutlich wurde dabei: Tonangebend in der Gesellschaft sind die Manager, nicht die Politiker.
Wenn die Topp-Manager mit ihren Möglichkeiten nicht zunehmend mehr soziale Verantwortung zeigen, wird es kritischer denn je. Die Politik gerät gegenüber der Wirtschaft zunehmend in eine Nachhutposition, weil demokratische Prozesse im Gegensatz zu Entscheidungen der Manager aufwendig und langwierig sind. Die sozialpolitischen Probleme sind letztlich nur weltweit zu lösen, aber zu einer gemeinsamen Weltwirtschafts- und erst recht zu einer Weltsozialordnung wird es in absehbarer Zeit wohl nicht kommen.
- Die Parteien leiden wie die Kirchen unter Mitgliedermangel. Können Sie Menschen gerade auch mit christlichem Hintergrund ermutigen, sich politisch zu engagieren?
Politik ist im Gegensatz zu den Zeiten, als Schönwetterkapitäne über Wohlstandsdemokraten herrschten, schwieriger geworden. In einer Periode, in der es vermehrt um die Verteilung begrenzter Mittel und darum geht, den Menschen zu erklären, warum einschneidende Reformen nötig sind, ist dies nicht gerade ein einfaches Aufgabenfeld. Am schwierigsten haben es die Kommunalpolitiker, die den Menschen unmittelbar Rede und Antwort stehen müssen. Auf Landesebene erleben wir eine schleichende Entmachtung der Landtage durch den Bund und die Europäische Union. Wer sich in den für die Menschen so wichtigen Bereich der Politik aufmacht, sollte sich vorher klar werden, worauf er sich einlässt. Allerdings: Demokratie lebt ausschließlich von Menschen, die bereit sind, sich politisch zu engagieren. Und das steht Christen gut an.
Fragen: Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Samstag, 18.06.2005