Gott lässt uns teilhaben an der Welt
Ein Beitrag von Pater Damian Meyer
Ein Pfarrer besuchte den Hof eines seiner Gemeindemitglieder. Das Land war in ausgezeichnetem Zustand und eine gute Ernte mit Sicherheit zu erwarten. Mehrmals nutzte der Pfarrer die Gelegenheit, dem Besitzer zu dieser Situation zu beglückwünschen, und so sagte er öfters: "Sie und der Herr haben hier sicher eine prima Arbeit geleistet." Als der Pfarrer abfuhr, bemerkte er noch einmal, welch großen Erfolg "Sie und der Herr" gehabt hätten. Da konnte der Bauer, der schon immer dabei ein wenig gelächelt hatte, sich nicht länger zurückhalten: "Ja, Herr Pfarrer, was Sie sagen, ist wahr. Aber ich wollte wahrhaftig, Sie hätten den Hof vor fünf Jahren gesehen, als der Herr ihn ganz allein bearbeitete!"
Als Sammler und Jäger von der Frucht der Erde zu leben, ohne jegliche Anpflanzung, ist wohl noch kleinen Gruppen von Naturvölkern möglich. Inzwischen gibt es für den Abenteuer-Urlauber Angebote, ein Überlebenstraining (survival training) in der Wildnis zu absolvieren. Wie opfervoll und mühsam es ist, von der bloßen Natur zu leben, zeigen die Berichte der Teilnehmer an solchen Kursen. Für eine kurze Zeit und für eine geringe Anzahl mag es möglich sein, sich von wild wachsenden Früchten und Kräutern zu ernähren. Die Menschheit als ganze aber wäre längst verhungert, wollte sie auf Ackerbau und Viehzucht verzichten.
Aus den biblischen Schöpfungsberichten geht hervor: Der Mensch ist durch seine Arbeit dazu berufen, die Welt zu gestalten und ihr sein ordnendes Gesetz aufzuerlegen – in verantwortlicher Weise. Der Garten Eden ist kein Schlaraffenland, sondern Betätigungsfeld des Menschen. Ohne den Menschen ist die Welt Einöde. Das Paradies ist dem Menschen nur zum Teil vorgegeben; zugleich wird es durch ihn geschaffen, um seine eigentliche Gestalt zu erhalten. "Gott, der Herr, nahm also den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte" (Gen 2,15).
Unser Obst und unsere Gemüse- und Getreidesorten sind das Ergebnis langer Auslese und Kreuzungszüchtung. Wer jemals einen 2 bis 3 Zentimeter großen, herbsauer schmeckenden wilden Holzapfel probiert hat, weiß die vom Menschen weiterentwickelten Apfelsorten zu schätzen. Wer sich von Wildkräutern ernähren möchte, wird nicht so leicht die wohlschmeckenden Gemüsesorten des Gartens vergessen können. Auch die immer öfter angebotenen Bio-Erzeugnisse sind ja nicht einfach ohne Zutun des Menschen gewachsen, sondern sind "Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit". Bei der Gabenbereitung in der heiligen Messe erinnern wir uns dankbar an die Gaben Gottes und werden gleichzeitig an unsere Würde erinnert: Gott lässt uns teilnehmen an der Gestaltung unseres Lebensraumes.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Mittwoch, 10.08.2005